Mischt sich Politik in die Kunst, droht das Konkrete das Poetische zu verdrängen. Wird eine politische Meinung ästhetisch nachkoloriert, droht schnell der Populismus. In seinem Buch "Poesie und Politik" beschäftigt sich der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch mit solcherlei "riskanten Beziehungen". Er zeigt: Schriftsteller und Dichter lagen und liegen mit ihren politischen Einschätzungen immer wieder falsch. Das Schöne, so Hörisch, dürfe nicht unkritisch als das Wahre verstanden werden.
Zeiten der Krisen sind Zeiten der Meinungen. Seit einigen Wochen können wir wohl hinzufügen: Zeiten der Offenen Briefe. Wir erinnern uns an die heftigen, öffentlich ausgefochtenen Kämpfe um die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, an denen auch Intellektuelle, Autoren und Schriftsteller maßgeblich beteiligt waren. Was sich im Zuge dieser Auseinandersetzungen - wenn auch nur am Rande des Schlachtfeldes - ereignete, war eine Kollision, die der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch in seinem Buch "Poesie und Politik" einer genaueren Betrachtung unterzieht: Das schöner und das wahre Wort rückten dich aneinander. Freilich nicht zum ersten Mal in der Geschichte des geschriebenen Wortes. Hörisch begibt sich auf die Suche nach Autorinnen und Autoren, die aus heutiger Sicht zum Teil frappierende politische Urteile abgegeben haben. Er zeigt, wo sich das Politische schädlich auf das Künstlerische auswirkte, und wo politische Äußerung und Kunstwerk klar voneinander getrennt gehören.
Handke, Mann, Céline - Wo Politik das Schreiben untergrub; und wo nicht
Letzteres wäre zum Beispiel im Falle Peter Handkes angebracht, von dem Marcel Reich-Ranicki in den 80ern bereits sagte, er erzähle alle zwei Wochen irgendein Blödsinn. Hörisch erwähnt Handke recht früh in seinem Buch, gewissermaßen als paradigmatischen Fall, der das Dilemma auf den Punkt bringt. Als Peter Handke 2019 den Nobelpreis für Literatur erhielt, gab es Protest und Aufruhr. Hintergrund war das politische Engagement des Schriftstellers. Dass ein Autor großartige, unsterbliche Werke schreiben, und zugleich politisch auf erschreckende Weise falsch liegen kann, sei an Handkes Beispiel deutlich abzulesen.
Von Handke aus greift Hörisch tiefer in die Literaturgeschichte und zeigt Beispiele auf, in denen das Politische das Ästhetische untergraben und zersetzt hat. Da wäre die 1935 veröffentlichte Hitler-Eloge der Schriftstellerin Luise Rinser. Da wäre Johannes R. Bechers Stalin-Hymne. In beiden Fällen habe das Werk durch die politische Gesinnung folgenschweren Schaden genommen.
Hörisch macht klar: Dass sich Schriftsteller politische Verfehlungen leisten, hat gewissermaßen Tradition. Der Literaturwissenschaftler geht hier etwa auf Thomas Mann ein, der bis 1918 als Befürworter des Ersten Weltkriegs galt; verweist auf den Antisemitismus Ferdinand Céline´s und auf den amerikanischen Dichter Ezra Pound, der Hitler für die Judenverfolgung lobte.
Als positive Gegenbeispiele führt Hörisch dann Goethe und Emile Zola an, die sich als durchaus kluge Politiker erwiesen. Goethe in seinem Amt als Minister für Berg- und Wegebau sowie als Verantwortlicher für das Militär, der auf Abrüstung setzte und dafür sorgte, dass die Armee kleiner wird. Zola als ein Schriftsteller und Aufklärer, der sich mit ganzer Kraft und trotz vehementer Widerstände gegen die reaktionären und antisemitischen Tendenzen seiner Zeit auflehnte.
Die Spannung der Grautöne
Jochen Hörisch hat mit "Poesie und Politik. Szenen einer riskanten Beziehung" einen Essay geschrieben, dessen Thema heut (wieder) unter Hochspannung steht. Zwischen Autor und Werk, zwischen Ästhetizismus und Meinungsbildung findet Hörisch ein Material, dessen Bearbeitung insofern interessant ist, als es sich ständig zu entziehen scheint. Es ist eben so, dass sich dort, wo schlagende Parolen und poetisch schön ausformulierte Sätze aufeinandertreffen, ein Raum auftut, der dem vorschnell Urteilenden keinen Platz gewährt. Wer pausenlos entscheidet, entscheiden muss, ist oft blind für den Grauton. "Ambiguitätstoleranz" - dieses ständig klirrende Wort - bedeutet, einen solchen Raum zu betreten, und eine zeitlang die Türen zu schließen.