Rüdiger von Fritsch war von 2014 bis 2019 deutscher Botschafter in Russland. In seinem aufschlussreichen Buch "Zeitenwende: Putins Krieg und die Folgen" analysiert der Diplomat den Überfall Russlands auf die Ukraine. Von Fritsch zeigt, welche Zeichen man im Westen übersehen hat, welche Möglichkeiten es gibt, diesen Krieg zu beenden und wie sich die Zeit nach der "Zeitenwende" gestalten könnte.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk insistierte der Diplomat und ehemalige Botschafter Deutschlands in Moskau, Rüdiger von Fritsch, auf Gespräche und Verabredungen zwischen dem Westen und Russland. "Wir können uns dieses Land nicht wegwünschen, wir können uns seine Führung nicht wegwünschen", so von Fritsch. Auch mögliche Andockpunkte nennt der Diplomat. So habe Putin bereits klargemacht, dass Russland beispielsweise weiterhin interessiert an Rüstungskontrollverhandlungen sei. Europa sieht von Fritsch in der Vermittler- und Unterstützterrolle. Ein Kriegsende durch einen Friedensschluss müsse allerdings allein von der Ukraine bestimmt werden.
Der Weg zurück in eine friedliche Weltgemeinschaft?
Diese und weitere Punkte beschreibt von Fritsch auch in seinem im Mai erschienenen Buch "Zeitenwende: Putins Krieg und die Folgen". Darin blickt er genauer auf den bisherigen Konflikt in der Ukraine; erwägt mögliche Lösungen und Ausgangsszenarien. "In was für einer Welt werden wir morgen aufwachen? Wie wird Europa am Ende dieses Krieges aussehen?". Rational und unaufgeregt analysiert der Autor die Zeit kurz vor sowie während des Krieges und zeigt, wie wir diesem Wahnsinn so entgegentreten können, dass Russland langfristig die Chance bekommt, einen Weg zurück in eine friedliche Weltgemeinschaft zu finden.
Von Fritsch gewährt uns einerseits detaillierte Einblicke in die europäische Russlandspolitik seit den 1990er Jahren. Andererseits kann uns der Diplomat aufgrund seiner jahrelangen beruflichen Erfahrungen ein besseres Verständnis davon vermitteln, inwiefern Putins Absichten auf historische, großherrschaftliche Bezüge gründen. Aus westlicher Perspektive - wo ständig von Hitler gesprochen wird - macht man es sich hierbei allzu oft allzu einfach.
"Siegt der Fernseher, oder siegt der Kühlschrank?"
In einem Gespräch zum Buch mit dem Deutschlandfunk Kultur bringt von Fritsch die alte sowjetische Frage "Siegt der Fernseher, oder siegt der Kühlschrank?" um die Spannungen innerhalb der russischen Bevölkerung darzustellen. Noch siege der Fernseher, also die Propaganda, so von Fritzsch. Diese Gleichung aber, könnte kippen. Dass dies auch Wladimir Putin befürchte, darauf deute die am 9. Mai gehaltene Rede des russischen Präsidenten hin. Eines Tages könnten die Menschen sagen: "Schön und gut, mit Krim und Donbass, aber ich will meine Kinder ernähren können, ich brauche eine vernünftige Gesundheitsvorsorge."
Der Diplomat geht letztlich nicht davon aus, dass dieser Kipppunkt demnächst erreicht sein wird. Sollte es zu einem Machtwechsel kommen, so würde wohl eher jemand aus Putins Dunstkreis an die Macht kommen. Und auch dieser neuen, sicher ebenso unerfreulichen Position, wird man sich im Westen arrangieren müssen. Dies jedenfalls ist der Appell, den wir aus "Zeitenwende" herauslesen können. Früher oder später wird man verhandeln, reden und austarieren müssen.
Rüdiger von Fritsch - "Zeitenwende: Putins Krieg und die Folgen"; Aufbau Verlag, 176 Seiten, 18 Euro