Der Schriftsteller Martin Walser hat dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Sonntag offiziell seinen sogenannten Vorlass übergeben. Dazu gehören etwa 75.000 handschriftliche Seiten, Tagebücher, Briefwechsel mit Literaten sowie die Privat- und Arbeitsbibliothek des Autors. Das Marbacher Archiv ist das größte deutsche Literaturarchiv in freier Trägerschaft.
Martin Walser gilt als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit. Im Zentrum seiner Romane, Erzählungen und Theaterstücke stehen Protagonisten, die mit den von Außen an sie herangetragenen Aufgaben und Forderungen nicht zu Rande kommen und scheitern. Innere Konflikte werden dabei äußeren Handlungsabläufen vorgezogen, erzählerische Elemente mit essayistischen Passagen überlagert und ergänzt. Walser Werk zeugt von einer unermüdlichen Arbeitswut, von einer kaum zu vergleichenden Schreiblust, die sich nicht zuletzt auch in seinem sogenannten Vorlass niederschlägt, den der Autor nun dem Literaturarchiv in Marchbach (DLA) überlassen hat: Rund 75.000 handschriftliche Seiten, 75 Tagebücher, Briefwechsel mit SchriftstellerInnen wie Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll und Uwe Johnson, diverse Fotos und Computerdateien, aber auch die Privat- und Arbeitsbibliothek überlässt der mittlerweile 95 Jahre alte Schriftsteller dem Archiv. Zur feierlichen Übergabe erschien Walser am Sonntag persönlich.
Insbesondere über die Tagebücher, die Walser 1958 zu führen begann und die bisher nur in Teilen editiert worden sind, freute man sich in Marbach. DLA-Direktorin Sandra Ritter bezeichnete das überreichte Material am Sonntag als "die ganze Fülle eines über 60 Jahre währenden Autorenlebens". Walser Dokumente stellten eine außergewöhnliche Quelle für Literatur- Zeitgeschichte dar. Bei der feierlichen Übergabe lasen drei Schauspieler aus Walsers Werken: Seine Tochter Franziska, ihr Mann (der Schriftsteller Edgar Selge) und Walsers Enkel Jakob. Der Autor bedankte sich für die langjährige Zusammenarbeit mit dem Archiv; auf den Tag der Übergabe habe er lange gewartet. Bereits im Jahr 2004 hatte Walser versprochen, dass sein Vorlass an das DLA gehen wird. Drei Jahre später hatte er bereits Teile seiner Manuskripte übergeben.
Martin Walser, ein Tausendsassa
Walser gilt als ein unermüdlicher Schreiber, der unzählige essayistische und erzählende Werke in einem unfassbaren Tempo verfasst hat. Seinen ersten Erzählband "Ein Flugzeug über dem Haus" veröffentlichte der 1927 im bayerischen Wasserburg geborene Autor im Jahre 1955. Sein erster Roman "Ehen in Philippsburg" erschien 1957. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Preise, darunter 1981 den Georg-Büchner-Preis und 1998 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.
Walsers großes Thema ist das gescheiterte und scheiternde Leben. Seine Antihelden werden mit Forderungen konfrontiert, denen sie nicht gerecht werden können. Die sich daraus ergebenen inneren Konflikte und seelischen Auseinandersetzungen stehen im Vordergrund seiner Werke, während das Vorantreiben äußerer Handlungen zunehmend ins Hintertreffen gerät. In den vergangenen Jahren sind mit "Das Traumbuch", "Spätdienst" und "Sprachurlaub" verhältnismäßig schmale Bücher erschienen, in denen sich der Autor ganz und gar auf die Präzisierung der Sprache konzentriert. Ergebnis sind oftmals lyrische Aperçus, die aus verdichteten Beobachtungen hervorgehen. Damit verweist Walser ein weiteres Mal auf die innere Auseinandersetzungen - auf den Konflikt zwischen Subjekt und Substanz - und unterstreicht zugleich die eigentliche Arbeitspraxis des Schriftstellers: die kontemplative Beobachtung.
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