Im Frühling 1919 zieht sich der spätere Nobelpreisträger Hermann Hesse, vom Grauen des Ersten Weltkriegs erschüttert und beklommen, ins sonnige Tessin zurück. Eine neue Liebe, ein Abschied von alten Lastern und eine geradezu rauschhafte Schaffensphase machten das erste Jahr in dem neuen Domizil zur "vollsten, üppigsten, fleißigsten und glühendsten Zeit" seines Lebens, wie Hesse später schrieb. Innerhalb weniger Wochen entstand in diesem Jahr auch die Erzählung "Klingsors letzter Sommer". Der Essayfilm "Hermann Hesse - Brennender Sommer" greift diese Erzählung wieder auf, öffnet Türen zu Orten, Atmosphären, Themen und Personen der Erzählung - und letztlich zu Hermann Hesse selbst.
Kaum ein Schriftsteller wurde von der Rezeption im Laufe seines Lebens so unterschiedlich bewertet wie der Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse. Feierte man das noch in der Tradition des 19. Jahrhundert stehende Frühwerk des Autors beinahe hymnisch, wandte man sich von Hesses späteren Zeilen zum Teil mit harscher Entschiedenheit ab. So schrieb der Autor Karlheinz Deschner in seiner 1957 erschienene Streitschrift Kitsch, Konvention und Kunstsprach: "Dass Hesse so vernichtend viele völlig niveaulose Verse veröffentlicht hat, ist eine bedauerliche Disziplinlosigkeit, eine literarische Barbarei". Kaum hatte man den späteren Literaturnobelpreisträger im deutschsprachigen Raum aber niederrezensiert, begann ein regelrechter "Hesse-Boom" in den USA, der anschließend auch wieder nach Deutschland überschwappte. Von solch sich stetig abwechselnden Höhen und Tiefen war Hesses - immer konsequent geführtes - Leben von frühster Kindheit an begleitet. Eine immer anwesende, bedrohliche Fallhöhe ist auch in seinen Werken nicht zu überlesen.
Diese behandeln beinahe immer spirituelle und psychologische Themen, was einerseits auf Hesses Beschäftigung mit dem Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung, anderseits auf seine Faszination für indische Weisheitslehren, dem Taoismus und der christlichen Mystik zurückzuführen ist. In die Kategorie des Psychologischen fällt auch das bei Hesse häufig wiederkehrende Motiv des romantischen Künstlertypus, der in sich hineinschaut und aus sich heraus schafft. Die Kunstproduktion - die Gedanken, Reflexionen, Ängste und Hoffnungen des Künstlers während der Arbeit - spielen eine zentrale Rolle in Büchern wie "Der Steppenwolf", "Die Morgenlandschaft" oder "Klingsors letzter Sommer". Letzteres hat der Regisseur Heinz Bütler zum Ausgangspunkt seines 2020 erschienen Essayfilms "Hermann Hesse - Brennender Sommer" genommen, welcher am 2. Juli 2022 im 3sat um 21:40 Uhr als Erstausstrahlung zu sehen ist.
Hermann Hesse als rauschhafter Schreiber
Hesse verfasste die Erzählung im Jahre 1919, nachdem er, von den Gräueln des Ersten Weltkrieges erschüttert, von Bern aus ins Tessin floh, wo er in der Casa Camuzzi in Montagnola ein neues Domizil fand. Von Klima und Licht des Südens versprach sich der Dichter neue Lebens- und Schaffenskraft. Knapp zwei Monate nach seiner Ankunft lernte er die Sängerin und Malerin Ruth Wenger kennen, die er später heiraten sollte.
Von den neuen Umständen beflügelt, geriet Hesse in einen regelrechten Schaffensrauch. Später wird er sein erstes Tessiner Jahr als die "vollste, üppigste, fleißigste und glühendste Zeit" seines Lebens bezeichnen. Die Erzählung "Klingors letzter Sommer" schrieb er in wenigen Wochen nieder.
"Klingsors letzter Sommer" / "Hermann Hesse - Brennender Sommer"
Im Mittelpunkt steht hier der Maler Klingsor und dessen kreativer und künstlerischer Schaffensprozess. Dabei wird die Energieaufwendung, die Entfesselung verbundener Gedanken, Hoffnungen und Ängste geschildert. Die von kreativer, konzentrierter Schaffenskraft zeugende Erzählung ist ein Exponat der wohl arbeitsreichsten und glühendsten Zeit in Hesses Leben, einer Zeit, die in Heinz Bütlers "Hermann Hesse - Brennender Sommer" beeindruckend dargestellt wird.
Während der Schauspieler Peter Simonischek aus "Klingsors letzter Sommer" liest, werden sowohl der Dichter wie auch sein Alter-Ego von der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, dem Hesse-Biografen Michael Limberg, Hesses Enkel Silver Hesse und dem Schriftsteller Alain Claude Sulzer zum Leben erweckt. Die Musiker Daniel Behle (Tenor) und Oliver Schnyder (Klavier) interpretieren darüber hinaus zwei Lieder von Richard Strauss, die Anreiz geben, die Auseinandersetzung mit Hesses Werk auch unter politischen Gesichtspunkten zu wagen. Hesses Beziehung zum Komponisten war eine durch und durch künstlerische. Während Strauss zu Texten Hesses komponierte, ging dieser dem Musiker aus dem Weg und beäugte dessen Werken während der Zeit des Nationalsozialismus zunehmend kritisch. Schließlich vergegenwärtigt der Maler und Zeichner Heinz Egger die malerische Obsession der Hauptfigur Klingsor mit den Mitteln seiner Kunst.
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