Mit "Innere Dialoge an den Rändern" legt der österreichische Schriftsteller und Nobelpreisträger Peter Handke ein weiteres Schreibwerkstatt-Buch vor, welches Literaturbegeisterte Einblicke in die Alltags-Prozesse eines unermüdlichen Beobachters gewährt. Auch in diesen - zwischen 2016 und 2021 niedergeschriebenen - Aufzeichnungen begegnet uns der Autor Handke als fabulierender Weltenverwandler und Peripherieliebender, der dort mit der literarischen Suche beginnt, wo der ihm seit Jahrzehnten verhasste Journalismus machtlos und überflüssig ist.
Auf knapp 400 Seiten eröffnet der Literaturnobelpreisträger Peter Handke in seinem kürzlich erschienen Buch "Innere Dialoge an den Rändern" unzählige Möglichkeiten, der Stupidität alltäglicher Redewendungen, Push-Nachrichten und Berichterstattungen zu entfliehen. Das Buch, welches zwischen 2016 bis 2021 niedergeschriebene Notizen des Autors versammelt, liest sich als ein wunderbarer Gegenentwurf zur allzu politisierten und - vor allem - politisierbaren Literatur der letzten Jahre. Diesen "langweiligen", unerlässlich politisierenden Menschen stellt Handke die "unpolitisierbare" und "manchmal" unterhaltsame Randfigur gegenüber, die sich dem alltäglichen Wahnsinn der Viel-zu-Aktuellen entzieht.
Während geschrien, geschimpft und verurteilt wird, versenkt sich die Randfigur Handke in Stendhal, Homer, Goethe, Tolstoi und Stifter. Autoren, die seine Naturbeobachtungen und Wortschöpfungen immer begleiten. Wie weit er, der den Tag noch als literarisches Material zu greifen, zu nutzen versteht, von jener medialen Gilde, die im Tag nichts als Affekt und Erregung zu suchen scheint, entfernt ist, wurde zuletzt 2019 deutlich, als, unmittelbar nach der Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke, ein Sturm losbrach, der die literarische Welten des Autors mit außerliterarischen zu vermengen versuchte.
Gegen Sprachabnutzung
Von solch affektiven Aufregungen ist Handke weit entfernt. Nicht, dass nicht auch er zornig, wütend, ungehalten wäre. Nur verweist dieser Zorn stets auf andere, tiefere Quellen, die nicht im vorübergehen anzuzapfen, abzuschöpfen sind. Der Tag selbst, nicht das Tagesaktuelle erhält Einzug in Handkes Prosa. Und so sieht er sich dann auch während der Zeitungslektüre beinahe in die "Falle der Aktualität" tappen, wendet sich aber früh genug ab, um weiter am eigenen literarischen Formenspiel zu arbeiten. Es ist bemerkenswert, wie dieser Schriftsteller ausgerechnet dadurch provoziert, dass er all seine Konzentration auf die sogenannten Nebensächlichkeiten lenkt. Das Periphere, das am Wegesrand Übersehende, all die großartigen Kleinteiligkeiten, die in der journalistischen Welt keinerlei Bestand haben können, sind zugleich von höchstem literarischen Wert.
Die zerstörerische "Genauigkeit" des Journalismus
Der Journalismus, als Antipode zur literarischen Schöpfung, betreibt aus Handkes Perspektive einen regelrechten Angriff auf die Poesie. So kann die journalistische "Genauigkeit" als ein Abgesang auf die Möglichkeiten sprachlicher Variationen gelesen werden; das "Schreiben was ist" als Suspension der poetischen Ausufernden, Verzerrungen und Übertreibungen, in denen sich gelegentlich Selbstwidersprüche auftun, die der "Journalistenprosa" verhasst sind.
Handke gesteht hingegen: "Im Aufschreiben bin ich nicht der übliche So-und-So, sondern ein Anderer, mein Anderer". Und später: "Woran erkennst du, woran erfährst du die Literatur? - An dem Sichpreisgeben des Schreibers, auch und vor allem, wo die Preisgabe nicht eklatant ist" Es sind also die sich am äußersten, beschatteten Rand auftuenden Zwischenstellen, in der die Literatur unter anderem zu suchen ist, wo wir sie wieder zu suchen lernen sollten. "Innere Dialoge an den Rändern" hilft dabei zweifelsohne.
Peter Handke - "Innere Dialoge an den Rändern"; Jung und Jung, 2022; 371 Seiten, 26 Euro