Überfüllte Züge, ausgefallene Klimaanlagen, quengelnde Kinder: Das Pfingswochenende war alles andere als ein Traumstart für das 9-Euro-Ticket. Während man aber über drängelnde Menschenmassen in schmalen Gängen und mangelhafte Infrastruktur klagt, sollte man nicht die Möglichkeiten außer Acht lassen, die das Ticket nach wie vor mit sich bringt. Eine davon, ist das ziellose Reisen. Zahlreiche Autorinnen und Autoren haben dieses etwas aus der Mode gekommene Unterfangen zum Sujet erhoben und literarisch verarbeitet. Dort begegnet uns etwa die Reise als Flucht, als Erkenntnisinstrument, als Akt der Selbstfindung oder als Lernprozess. Wir haben eine kleine Auswahl literarischer Reisebücher zusammengestellt, die die Fahrt durch die Bundesrepublik anregender gestalten könnten.
Reisen bedeutet, nirgends wirklich anzukommen. Sich in ein permanentes Dazwischen zu begeben, von wo aus ungewohnte Beobachtungen und Betrachtungen anzustellen sind und Übergänge sichtbar werden, die sonst allzu schnell übersehen werden. Eine mehr oder weniger "ziellose" Reise quer durch die Bundesrepublik, ein Unterwegs-Sein, das zunächst kein Ankommen, kein Hotel, keine Attraktion, keinen Strand voraussetzt; eine Reise schließlich, in der sich das Reisen selbst spiegeln und antreibt - das ist die Grundidee vieler anregender Bücher gewesen. So setzte sich Roger Willemsen für sein Buch "Deutschlandreise" in den Zug. Ebenso der Schriftsteller Stan Nadolny, der in "Netzkarte" die romantischen Sehnsüchte des Taugenichts Ole Reuter umschrieb. Nicht zuletzt treffen wir in Christian Krachts "Faserland" auf einen Ich-Erzähler, der sich auf eine aufregende Reise begibt. Thomas Rosenlöcher tat es Anfang der 1990er Jahre Heinrich Heine gleich, und fuhr Richtung Hartz, wo er das "Gehen während des Wanderns" wiederentdeckte.
Christian Kracht: "Faserland"
In Krachts 1995 bei Kiepenheuer & Witsch erschienene Debütroman "Faserland" wird die Reise eines namenlosen Endzwanzigers erzählt, der zunächst durch Deutschland, und anschließend in die Schweiz fährt (bzw. fliegt). Auf seinem Weg nach Zürich macht er Halt in Hamburg, Frankfurt, Heidelberg, München und Meersburg am Bodensee und erlebt in jeder Stadt exzessive Alkohol- Sex- und Drogenpartys.
Ankündigung (Fischer)
Einmal durch die Republik, von Nord nach Süd: Christian Krachts namenloser Ich-Erzähler berichtet von seiner Deutschlandreise. Der kleine Bildungsroman »Faserland« veränderte in Deutschland die Wahrnehmung einer ganzen Generation, von der es vorher hieß, sie habe gar keine Wahrnehmung. Die Kontroversen, die 1995 sofort nach der Veröffentlichung des Romans "Faserland" ausbrachen, haben sich gelegt, der Roman ist heute ein Klassiker der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, der immer wieder neue Leser fasziniert.
Sten Nadolny: "Netzkarte"
In Sten Nadolnys Erstling fährt der 30-jährige Studienreferendar Ole Reuter mit der Bundesbahn einen Monat durch Deutschland. Was genau sein Antrieb ist, ist nicht leicht auszumachen. Die Angst vor dem Lehrerberuf? Vor dem Examen? Oder sind es romantische Sehnsüchte, die ihn treiben?
Ankündigung (Piper)
Die "Netzkarte" ist Sten Nadolnys früher, hinreißend leichthändiger Roman um den Taugenichts Ole Reuter, einen jungen Mann, der getrieben von romantischen Sehnsüchten mit der Bahn durch Deutschland reist. Erst als er eine Frau trifft, mit der sich eine mehr als flüchtige Verbindung ergibt, beginnt alles komplizierter zu werden.
Thomas Rosenlöcher: "Die Wiederentdeckung des Gehens beim Wandern. Harzreise"
Nach dem Zusammenbruch der DDR macht sich Thomas Rosenlöcher auf die Spuren Heines und Goethes, und durchwandert den Harz. Auf seinem Weg stößt er auf als "Apotheker" bezeichnete Menschen aus dem Westen. Schritt für Schritt verfinstert sich die für Goethe und Schiller noch als Waldeinsamkeit hochgehaltene Umgebung.
Ankündigung (Suhrkamp)
Thomas Rosenlöchers neues Buch, "Die Wiederentdeckung des Gehens beim Wandern", setzt mit dem Tag der Währungsunion, am 1. Juli des Jahres 1990, ein. Westgeld und Westautos - "weh dem, der hier zu Fuß ging" -, Westzeitung, Westbier und Westmenschen - während seiner Harzreise -nach berühmtem Vorbild - geht dem sächsischen Wanderer der Westen auf, und Thomas Rosenlöcher notiert diese Erfahrungen als "Fremder im eigenen Land, das mir freilich auch nie gehörte".
Roger Willemsen: "Deutschlandreise"
Für Roger Willemsen war das Reisen ein essentieller Bestandteil seiner schriftstellerischen Arbeit. "Ich sitze im Zug, und fahre weit weg. Nach Deutschland.", schriebt er in seiner "Deutschlandreise" und zeigt somit, dass es während des Reisens keine vorgeschriebene Richtung gibt. Dass das Reiseziel während des Reisens immer schon gegenwärtig ist.
Ankündigung (Fischer)
Wochenlang reiste Roger Willemsen mit dem Zug durch Deutschland, von Konstanz nach Kap Arkona, von Bonn nach Berlin. Aus seinen Begegnungen mit Menschen unterschiedlicher Art entsteht das facettenreiche Bild eines Landes. Mit wachem Blick entdeckt er das Wesentliche im Alltäglichen und das Typische im Zufälligen – das Glück und Unglück des ganz normalen Lebens.
Fernando Aramburu: "Reise mit Klara durch Deutschland"
Gemeinsam mit seiner Ehefrau Klara begibt sich ein nicht gerade erfolgreicher spanischer Autor auf Rechercheur durch Deutschland. Sie soll ein Reiseführer verfassen. Er liefert die Fotos dazu. Eine Reise mit Hinternissen, die von lästigen Verwandten und deutsche Nationalhymnen begleitet wird. Ein Roman, den Aramburu selbst als sein "glücklichstes Buch" bezeichnete.
Ankündigung (Rowohlt)
Die Reise beginnt in Bremen und geht weiter nach Worpswede, zum Grab von Paula Modersohn-Becker, zur Arno-Schmidt-Stiftung in Bargfeld, nach Goslar und Berlin. Süddeutschland ist das nächste Ziel. Doch als ihr Hund Goethe erkrankt, kommt alles anders als gedacht.
Mit viel Charme und hintergründigem Humor blickt Aramburu auf seine Wahlheimat Deutschland, auf seinen Hund und vor allem auf eine sehr selbständige Frau, die Kerzenlicht beim Abendessen mag, alle Moden beharrlich ignoriert, dafür immer einen Plan hat, auch wenn ihm so mancher spanisch vorkommt. Eine höchst vergnügliche Lektüre über das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen. Meisterhaft erzählt von einem der bedeutendsten Autoren der spanischen Gegenwartsliteratur.
Wolfgang Büscher: "Deutschland, eine Reise"
Im Niederrhein beginnend, durchquert Wolfgang Büschel im Winter 2004 zu Fuß, mit Bus und Bahn die Bundesrepublik. Vor allem die Grenzen Deutschlands sind es, die den Autor zum Nachdenken anregen. Er bestaunt die Nordsee, Helgoland und Sylt, reist an die Ostsee, nach Mecklenburg und Pommern, und entdeckt ein Deutschland, dass sich nicht wirklich mit dem aus seiner Vorstellung deckt.
Ankündigung (Rowohlt)
Wolfgang Büscher ist einmal um Deutschland herum gereist. Drei Monate war er unterwegs, zu Fuß, per Bus, per Anhalter oder auch mit dem Schiff. Er hat ein Land gesehen, das unendlich viel eigenwilliger und sonderbarer ist, als wir alle glauben. Eine Reise wie ein lange vergessener Traum – glänzend erzählt und voller unglaublicher Entdeckungen.
Roger Willemsen: "Unterwegs"
Obgleich es sich in diesem Willemsen-Buch nicht um eine Deutschlandreise handelt, kann man hier viel über das Reisen als Übung lernen. Für Roger Willemsen war Genauigkeit ein wichtiger Indikator, wenn es um Textproduktion geht. Genauigkeit also zunächst in der Beobachtungen, anschließend dann in der Übertragung dieser Beobachtung.
Ankündigung (Fischer)
Schon als kleiner Junge hatte er immer einen gepackten Koffer unterm Bett. Aus dem kleinen Jungen ist ein großer Reisender geworden und ein begnadeter Erzähler. Ob Tokio, der Kongo oder Afghanistan, von überall brachte Roger Willemsen Geschichten mit. Das Reisen bedeutete ihm aber weit mehr. Dieser Band erzählt davon und von seiner Sehnsucht nach der Fremde.