Heimkehr, Trümmer, Stunde Null Hans Werner Richter: Der Königsmacher

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Der Schriftsteller Hans Werner Richter gilt gewissermaßen als Initiator der "Gruppe 47", die wohl die wichtigste Schriftstellervereinigung der Nachkriegszeit war. Zerschellt ist die Gruppe an den politisch aufgeladenen 60er Jahren; offiziell aufgelöst wurde sie bis heute nicht. Bild: Andreas Bohnenstengel (Wikipedia)

Günter Grass, Martin Walser, Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll - Zahlreiche bedeutende und heut weltbekannte Autorinnen und Autoren sind aus der sogenannten "Gruppe 47" hervorgegangen, die bis heut als die wichtigste Schriftstellergruppierung der Nachkriegszeit gilt. Entstanden ist sie im Zuge eines Treffens am Bannwaldsee, zu dem der Schriftsteller Hans Werner Richter unterschiedliche Schriftsteller einlud. Von 1947 bis 1967 wurde die "Gruppe 47" Gegenstand zahlreicher kultureller und politischer Debatten. Aus den während der Tagungen geführten Diskussionen, sowie der vehementen Kritik, die die Gruppenmitglieder an die jeweils Lesenden richteten, sind wegweisende Schriftstellerpersönlichkeiten und mehrere Nobelpreisträger hervorgegangen.

Wo ansetzten, als junger Literaturinteressierter, der, eben erst aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, in ein Land kommt, das von Scham, Wut und Angst beherrscht wird? Die Antwort vieler junger deutscher Nachkriegsautoren lautete: Aus den Trümmern schaffen, aus den Erlebnissen großer Verluste, den zerrissenen Familien. Auch aus dem Hass auf die Verantwortlichen, die in ihrem Wahn einen Krieg vom Zaun brachen, der von Beginn an nicht zu rechtfertigen war. Die heimgekehrten Nachkriegsautoren, die eben noch als Soldaten an der Front standen, schöpften aus den tiefgreifenden Widersprüchen, mit denen sie nach 1945 konfrontiert waren. Und während um ihnen herum die Trümmer allmählich beseitigt, Wohnhäuser aufgebaut und Straßen erneuert wurden, hielten sie genau das fest, was da mit jedem weiteren Tag verschwand. Das Zerbröselte, Zerschossene und Zerstörte, in dessen Kargheit sich die Kulturlandschaft selbst zu spiegeln schien.

Hans Werner Richter: Aus dem Gefangenenlager zur Gruppe 47

Als der Schriftsteller Hans Werner Richter im Jahr 1946 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück nach München kam, kam er, anders als viele seiner späteren Kollegen, nicht mit gänzlich leeren Händen zurück. Denn bereits während seiner Zeit als Kriegsgefangener in den Lagern Camp Ellis und Fort Kearney, gab Richter die antifaschistischen Zeitschriften "Lagerstimmen" und "Der Ruf" heraus. An "Der Ruf" arbeitete unter anderem auch der Schriftsteller Alfred Andersch mit, der später zu einem der profiliertesten Mitglieder der Gruppe 47 werden sollte. Nach ihrer Kriegsgefangenschaft gaben Richter und Andersch "Der Ruf" weiterhin in München heraus. Bis die amerikanische Besatzungsmacht die Zeitschrift aufgrund ihrer sozialistischen Ausrichtung und amerikakritischen Inhalte im April 1947 verbot, galt "Der Ruf" als eine der wichtigsten Kulturzeitschriften.

Nachdem "Der Ruf" abgesetzt wurde, plante Hans Werner Richter eine Nachfolgezeitschrift, die sich dezidiert auf literarische Inhalt konzentrieren sollte. Für eine erste "Redaktionssitzung" lud Richter diverse Schriftsteller zu einem Treffen am Bannwaldsee ein. Hier sollten Manuskripte gelesen und gemeinsam über die Texte diskutiert werden. Die geplante Literaturzeitschrift, die unter dem Titel "Der Skorpion" erscheinen sollte, wurde nie publiziert. Stattdessen entwickelte sich aus dem Treffen die erste Tagung der "Gruppe 47"

Keine Grundsatzdiskussionen und scharfe Kritik

Rückblickend wird Hans Werner Richter über die Geburtsstunde des Schriftstellertreffens sagen: "Der Ursprung der Gruppe 47 ist politisch-publizistischer Natur. Nicht Literaten schufen sie, sondern politisch engagierte Publizisten mit literarischen Ambitionen." Nach den Lesungen wurde spontan Kritik geäußert; ein Ritual, welches die Gruppe die nächsten Jahrzehnte beibehielt. Auch die Form der Vorträge wurde bereits früh gesetzt und seitdem nicht sonderlich verändert. Dabei saß der oder die Lesende auf dem sogenannten "elektrischen Stuhl" neben Hans Werner Richter, der bald als Chef der Gruppe anerkannt war. Tradition war es außerdem, dass der oder die Vortragende nicht auf die geäußerte Kritik reagieren durfte. Ebenso waren keine politischen oder literarischen Grundsatzdiskussionen erlaubt, die die Gruppe, wie Richter dachte, spalten könnten.

Der Name "Gruppe 47" - der spanischen Literaturbewegung "Generación del 98" entlehnt - entstand erst nach dem ersten Treffen am Bannwaldsee. Richter legte besonders viel Wert darauf, dass das Treffen keinerlei Organisationscharakter bekommt, kein Club, kein Verein, kein Verband wird. Nachdem er entschied, das Treffen in regelmäßigen Abständen zu wiederholen, lud Richter in den Folgejahren unterschiedliche Autoren ein, die er selbst auswählte. "Ich lade alle Leute ein, die mir passen, die mit mir befreundet sind", so Richter. Das zweite Treffen fand bereits zwei Monate nach der Auftaktveranstaltung statt. Die Teilnehmerzahl hatte sich da bereits verdoppelt.

"Jene also, die die Poesie nicht mögen – sie waren in der Mehrzahl – lehnten sich auf."

Der ernste und schlichte Realismus der Trümmerliteratur, der unter den Teilnehmern der ersten Tagungen weit verbreitet war, wurde bald schon von einem modernen Stil abgelöst. Die Gruppe gelangte relativ schnell zu großer Bekanntheit, so dass auch Gäste aus dem Ausland zur Tagung eingeladen wurden. Die vorgetragenen Texte wurde zunehmend komplexer, die Beschreibung des brachen Nachkriegsdeutschland, in der der symbolische Gehalt des allgemein Vorzufindenden eine tragende Rolle spielte, wich einer immer individuelleren, singulären Ausdrucksart.

Wie problematisch dieser Wechsel insbesondere für alteingesessene Teilnehmer war, wurde deutlich, als der Dichter Paul Celan 1952, im Zuge des 10. Treffens in Niendorf, sein bis dato noch unbekanntes Gedicht "Todesfuge" las. Die Reaktionen waren zum Teil erschreckend. "Das kann doch kaum jemand hören", hieß es aus den Reihen." Die Mitglieder lachten auf. "Der liest ja wie Goebbels" soll ein Teilnehmer ausgerufen haben. Hans Werner Richter selbst urteilte, Celan habe "in einem Singsang vorgelesen wie in einer Synagoge". Später schrieb der gekränkte Dichter an seine Frau Gisèle: "Jene also, die die Poesie nicht mögen – sie waren in der Mehrzahl – lehnten sich auf."

Große Erfolge und Institutionalisierung

Ab den 1950er Jahren nahm die "Gruppe 47" zunehmend den Charakter einer literarische Institution an. Insbesondere der bahnbrechende Erfolg des Schriftstellers Günter Grass, der nach der Lesung eines Kapitels aus seiner noch unveröffentlichten "Blechtrommel" nicht nur den "Preis der Gruppe 47" sondern gleich mehrere Verlagsangebote erhielt, wirkte sich stark auf die Gruppe aus. Mittlerweile kritisierten auch nicht mehr die Autoren selbst die gelesenen Texte, sondern eine Riege ständig anwesenden Berufskritikern, zu denen unter anderem der - ob seiner harschen Kritik schnell gefürchtete - Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, Walter Jens und Joachim Kaiser gehörten.

Während der hochpolitisierten und erregten 60er Jahre geriet die Gruppe immer häufiger in Kritik. Nun nicht nur von konservativer, sondern auch von linker Seite. Im Ausland wurde die Vereinigung inzwischen ebenfalls als Bollwerk der deutschen Literatur wahrgenommen. Viele nicht in Deutschland lebende Rezipienten sahen in den Mitglieder die Repräsentanten deutschsprachiger Literatur schlechthin. Diese doch fragwürdige Außenwirkung machte sich auch innerhalb der Vereinigung bemerkbar. Allmählich regte sich Kritik. Richter selbst sprach von einem "schleichenden Krebs, der da plötzlich die Gruppe befällt"

Die Gruppe, die nie wirklich aufgelöst wurde.

Das vorletzte Treffen der Gruppe fand 1967 im oberfränkischen Waischenfeld statt. Die Tagung wurde von Mitglieder des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes immer wieder gestört und unterbrochen. Die Studenten warfen der Gruppe ihre unpolitische Haltung vor. Von Seiten der Gruppen-Mitglieder gab es unterschiedliche Reaktionen auf die Provokationen. Einige suchten den Dialog, andere reagierten äußerst verärgert. Auch wenn die Tagung in Waischenfeld gewissermaßen als Höhepunkt der Zersetzung erscheint, war die endliche Auflösung der Gruppe längst abzusehen. Gewissermaßen von der Politisierung der 60er Jahre getrieben, konnte man sich innerhalb der Gruppe nur schwerlich politisch enthalten. Hans Werner Richters Konzept eines Treffens ohne Grundsatzdebatten wurde damit zunehmend poröser, und zerfielt letztlich.

Richter hatte sich daher für die Auflösung der Gruppe entschieden, dessen letztes Treffen er 1968 auf Schloss Dobříš in Prag plante. Die Ereignisse des Prager Frühlings machten eine Tagung allerdings unmöglich. So löste sich die "Gruppe 47" also niemals offiziell auf.


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