Die Frage nach weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine hat eine Debatte in Gang gesetzt, die Unentschiedenheit kaum mehr zulässt. Zwei Parteien, pro und kontra. Zwei Offene Briefe - beide an den Bundeskanzler gerichtet - die die jeweiligen Positionen bestärken und untermauern. Unter all dem kocht eine gewaltige Aggression, die, gerade angesichts der Tatsache, dass es sich hierbei um kriegs- beziehungsweise waffenspezifische Fragen handelt, äußerst befremdlich wirken kann. Wenn sich die Fronten dieses Diskurses weiter verhärten, wenn wir weitere Schritte in Richtung "entweder oder" gehen, laufen wir dann nicht auch Gefahr, einer Logik anheimzufallen, die die des Aggressors ist?
Dafür oder Dagegen? Pro oder Kontra? Angriff oder Verteidigung? Die Frage, ob Deutschland schwere Waffen an die Ukraine liefern sollte, beschattet derzeit die Bundesrepublik. Es ist nicht der erste Diskurs, dessen Dynamik seinen Akteuren eine klare, ja apodiktische Positionierung abzuverlangen scheint. Von einer twitteresken Erregtheit getrieben, an Ausformulieren in 280 Zeichen gewöhnt, stürzt man sich tollkühn und hitzköpfig in den politischen Kampf, bezieht deutlich Stellung, äußert unmissverständlich seine Meinung. Argumentativ feuert man aus Schützengräben, die sich zunehmend verengen, die bald schon keine Fahnenflucht mehr zulassen. Wenn kein Fuß mehr zwischen die antagonistischen Lager passt, drohen wir dorthin zu gelangen, von wo aus Autokraten und Diktatoren entscheiden und handeln. Die unumstößliche, absolute Überzeugung, die meint: Töten oder getötet werden. Ganz oder Gar nicht. Auch innerhalb unserer Debatten und Diskurse ist jene gefährliche Tendenz auszumachen, auf die die Unterzeichner des ersten Offenen Briefes, der sich gegen die Lieferung schwerer Waffen richtet, ausdrücklich hingewiesen haben. Auch fernab realer Kriegsschauplätze kann der Aggressor, in diesem Falle Putin, Gewinne erzielen.
Wenn Zeitenwende Aufrüstung bedeutet...
Ein Argument jener, die sich für weitere Waffenlieferung aussprechen, lautet: Wer vor Lieferungen dieser Art zurückschrecke, sei Putin auf den Leim gegangen. Mit gleichem Recht könnte die Gegenseite behaupten: Wer sich in den Aufrüstungskanon einreiht, hat begonnen, Putins Sprache zu sprechen. Angesichts der Euphorie und Erhitztheit, mit der die vom Bundeskanzler verkündete Zeitenwende aufgenommen wurde, könnte der Eindruck entstehen, dass diese Sprache Putins einigen bereits länger auf der Zunge lag. Eine Sprache der Gewalt, der Panzer und der Raketen, die zugleich die Instrumente dieses neuen Aufbruchs zu sein scheinen.
Wo aber militärisch aufgerüstet wird, wird argumentativ abgerüstet. Unter den weichen warmen Betten der Demokratie erscheinen die immer kürzer werdenden Argumentationsketten, die dem "Für und Wider" entgegenstrebenden Begründungen natürlich noch immer irgendwie wie Diskurs, wie Debatte. Zugleich arbeitet dieses "Für und Wider" klammheimlich gegen den Zweifel, gegen die Rück- und Vorsicht, gegen das Abwägen, gegen die Besinnung und also für die Aggression, für den Überfall, für die vorschnelle Hinrichtung. Dieses Arbeiten wurde selbstverständlich nicht erst mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine in Gang gesetzt. In der Beurteilung des Krieges und der nächsten Schritte aber, lässt sich allmählich erahnen, welche Früchte diese Arbeit trägt.
Panzer, Raketen und pointierte Kommentare
Plädieren müsste man also auch hier für den Zweifel. Wenn Gewalt, Panzer und Raketen die Mittel der Zukunft sein sollten, dann, so schreibt der Soziologe Christian Rosa in einem im Spiegel erschienen Artikel, hat Putin sein Ziel erreicht und gewonnen. Die Panzer und Raketen unserer zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen, die wir nur aus Angst vor Verlust allenthalben als "Debatten" bezeichnen, sind Erregtheit und reißerische Pointen. Ergebnisse, die die Analyse und den Prozess außen vor lassen. In diesem Sinne sollte wir die Plätze zwischen den Stühlen hochhalten, und jeder Position stets die Gelegenheit geben, im nächsten Augenblick überzulaufen.