In seinem Buch "Nationale Interessen" plädiert der Jurist und SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi für einen nüchternen, illusionslosen Blick auf die aus den Fugen geratenen Weltverhältnisse. Europa müsse sich neu orientieren, klare Interessen formulieren und für diese einstehen, so der 93-Jährige. Das Buch erschien im Januar dieses Jahres, noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. In der NDR-Sendung "DAS!" sprach von Dohnanyi nun darüber, was man hätte sehen und verhindern können.
Als Freund und Verteidiger der Debattenkultur, sucht der Politiker Klaus von Dohnanyi nach wie vor das konstruktive Streitgespräche, mischt sich in Diskussionen und bezieht klar Stellung. In seinem Buch "Nationale Interessen: Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche" plädiert er für einen ungetrübten und nicht von Erregungen verzerrten Blick auf die Weltgeschehnisse. Deutschland und Europa stünden vor großen Herausforderungen. Gerade angesichts des technologischen und machtpolitischen Wandels plädiert der SPD-Politiker für einen illusionslosen Blick, der ein souveränes und nicht überstürztes Handeln nach sich zieht. Zwischen die Fronten der USA und Chinas geraten, liege es nun an Europa, eigene Interessen zu formulieren und diese mit Realismus zu verfolgen. Das Buch erschien im Januar dieses Jahres, also noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Was er nun, knapp dreieinhalb Monate später, dazugelernt hat, welche Entwicklungen bereits Frühzeit zu erkennen und also zu verhindern gewesen wären und wie wichtig Gespräche und Verhandlungen sind, erklärte von Dohnanyi in einem Interview in der NDR-Sendung "DAS!"
Man hat es sehen können und nicht verhindert
In seinem Buch habe er ausdrücklich davor gewarnt, dass, wenn die Ukraine von der amerikanischen Politik weiter in die Nato getrieben werde, es zu einem Krieg an den Ostgrenzen Europas kommen könne, so von Dohnanyi in dem Gespräch. Der Überfall auf die Ukraine, ist sich der Politiker sicher, hätte auch kurzfristig noch verhindert werden können. Präsident Biden habe im Dezember 2021 auf Putins Frage, wie man mit der Ukraine in Zukunft umgehen wolle, geantwortet: "Über diese Frage werden wir mit Ihnen gar nicht verhandeln" In Deutschland, so von Dohnanyi, sei diese doch gefährliche Reaktion widerspruchslos hingenommen worden.
In seinem Buch habe er klar machen wollen, dass unterschiedliche politische Akteure unterschiedliche politische Interessen verfolgen, die nicht immer übereinstimmen und einhergehen können. so verfolge Putin andere Ziele als Macron, Macron andere als Deutschland, Deutschland andere als die USA. Dass gegenwärtig - insbesondere von der US-Seite aus- nicht mit Putin über mögliche Lösungsansätze gesprochen wird, hält der SPD-Politiker für fatal.
Helmut Schmidt würde lachen...
Auf die Frage, wie Helmut Schmidt, angesichts der gegenwärtigen Kritik an die SPD, reagieren würde, antwortet von Dohnanyi: "Helmut Schmidt würde zunächst mal darüber lachen und sagen, ich war noch nie ein Pazifist gewesen..." Schmidt - ebenso wie Willy Brandt - sei allerdings immer der Meinung gewesen, dass man reden und verhandeln müsse. Angesichts der Tatsache, dass die gegenwärtige Regierung die Notwendig zur militärischen Aufrüstung sieht, aber nicht erkennt, dass eine solche Aufrüstung nur in Verbindung mit einer offensiven Verhandlungsstrategie zu Erfolgen führen kann, zeigt sich von Dohnanyi traurig. Man muss mit Russland verhandeln, um Frieden in Europa zu schaffen.
Die US-Interessen sind nicht die Interessen Europas
Europa und Deutschland müssten endlich verstehen, dass die US-Interessen nicht mit europäischen Interessen gleichzusetzen seien, so von Dohnanyi. So sieht er die europäischen Länder in Fragen der Sicherheit und der Außenpolitik in einem sich vor allem über die NATO konstituierenden Abhängigkeitsverhältnis zur USA. Wie auch in seinem Buch plädiert der Politiker für offene, von eigenen, europäischen Interessen und Werte geleitete Gespräche mit den USA vor, um sich aus diesem Abhängigkeitsverhältnis zu befreien. Die USA, so von Dohnanyi, verteidigen nicht die europäischen, sondern ihre eigenen Interessen. Man dürfe sich von dieser Idee nicht einlullen lassen.