Heimkehrer, Trümmer, Stunde Null Alfred Andersch: Fahnenflucht als Akt der Freiheit

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Alfred Andersch gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Heimkehrerliteratur (Trümmerliteratur). Im Zentrum seines Werkes steht der Deserteur als wählendes und also freies Individuum. Bild: Michael M. Dean (Wikipedia)

Der Schriftsteller Alfred Hellmuth Andersch gilt als einer der wichtigsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur. Er war Vertreter jener Epoche, deren Akteure sich - gerade aus dem Krieg heimgekehrt - auf das konzentrierten, was sie nach 1945 in ihrer Heimat vorfanden: Trümmer. Andersch war Mitgründer der sogenannten "Gruppe 47", stets politisch engagiert und nicht uninteressiert daran, einen eigenen Mythos zu schaffen und zu nähren. In seinen Erzählungen und Romanen steht der Fahnenflüchtige, der Deserteur als freiheitsliebende Figur im Mittelpunkt.

Alfred Andersch ist wohl der umstrittenste Autor aus den Rängen der sogenannten Trümmerliteratur. Für Kollegen und Zeitzeugen galt seine 1952 veröffentlichte autobiografische Erzählung "Die Kirchen der Freiheit" als ein bahnbrechendes Buch. Wie ein "Trompetenstoß in schwüler Stille" empfand es sein Schriftstellerkollege Heinrich Böll. Andersch hatte darin seine Fahnenflucht vom 6. auf den 7. Juni 1944 dargestellt, ein Akt, der als Motiv fortan im Zentrum seiner schriftstellerischen Arbeit stehen wird.

Den desertierenden Soldaten stellte Andersch in das Licht des sich damals langsam in Deutschland ausbreitenden französischen Existenzialismus. Die Abkehr vom "Herdeninstinkt" der verbohrten Mitläufer setzte er als eine Entscheidung, die der Freiheit Tribut zollt. Andersch´s Berichte und Selbstauskünfte zu seiner Fahnenflucht aber, sind alles andere als unumstritten. Wie die Autoren Jörg Döring, Felix Römer und Rolf Seubert in ihrem Buch "Alfred Andersch desertiert. Fahnenflucht und Literatur" herausstellten, ist es zweifelhaft, ob der Autor tatsächlich zur US-Armee überlief, oder einfach gefangen genommen wurde. Sicher ist, dass Andersch seine Geschichte existenziell und individuell aufplusterte. So war er keineswegs der Einzige, der an jenem Tag - absichtlich oder aus freiem Willen - die Seite wechselte.

Als inhaftierter Kommunist im KZ Dachau?

1930 trat Alfred Andersch der KPD bei. 1932 wurde er sogar Organisationsleiter des Kommunistischen Jugendverbandes in Südbayern. Aufgrund seines Engagements geriet er in Konflikt mit dem nationalsozialistischen Regime und wurde 1933 - nach eigenen Angaben - infolge der Reichtagsbrandverordnung inhaftiert. Andersch´s Darlegungen zufolge, verbrachte er drei Monate im KZ Dachau. Verschiedene im Nachhinein angestellte Recherchen - unter anderem des Autors Bernhard Setzwein - ergaben allerdings, dass es keinerlei Anhaltspunkte für eine solche Inhaftierung gibt. Hierzu hatte Setzwein unter anderem die Dachauer Archive gesichtet. Auch die Recherchen des Historikers Rolf Seubert legen nahe, dass Andersch niemals im KZ Dachau gewesen ist.

Literarische Anfänge

Das kontinuierliche Schreiben war dem Autor - wie viele andere später weltberühmte deutsche Autoren auch - aufgrund des Zweiten Weltkriegs nicht möglich gewesen. Von 1944 bis 1945 war er Kriegsgefangener in Louisiana, Rhode Island und Fort Hunt Park, Virgina. 1945 wurde er aus der Gefangenschaft entlassen und kehrte nach Deutschland zurück. In München arbeite er zunächst als Redaktionsassistent von Erich Kästner bei der "Neuen Zeitung". Allerdings zeigte sich Andersch bald unzufrieden mit der Ausrichtung der Zeitung und beschloss eigene Publikationen in die Wege zu leiten. Daraus resultierte die Monatsschrift "Der Ruf", die er gemeinsam mit Hans Werner Richter herausgab.

Auch "Der Ruf" währte nicht lange. Aufgrund der anti-amerikanischen Haltung der Zeitschrift, entzog man Richter und Andersch die Herausgeberschaft. Die Planung eines neuen, sich dieses Mal stärker auf Literatur konzentrierenden Blattes, führte zur Entstehung der "Gruppe 47".

Zeitkritische Werke

Alfred Andersch gilt als zeitkritischer Autor, dessen Werke sich - eine typische Eigenschaft von Trümmerliteratur - auf deutliche und radikale Weise mit dem Gegenwärtigen und Unmittelbaren befasste. Zentrales Thema in seinen Erzählungen und Romanen ist die Willensfreiheit des Einzelnen, die existenzielle Entscheidung. Vor dem Hintergrund des französischen Existenzialismus, der die Verurteilung zur Freiheit deklariert, setzt Andersch den überlaufenden Soldaten, der sich gegen Hitler und das nationalsozialistische Regime stellt.

Zum ersten Mal taucht dieses Motiv in Andersch´s autobiografischen Bericht "Die Kirschen der Freiheit" auf. Fortan wiederholt es sich als Kernthema auch in den Folgeromanen. In "Sansibar oder der letzte Grund", "Die Rote" und "Efraim" spielt die existentielle Entscheidung als freiheitliche Wahl unter schrecklichen Voraussetzungen eine tragende Rolle. So ist es in "Efraim" ein emigrierter jüdischer Journalist, der vergeblich versucht, aus seiner Realität auszubrechen. In "Sansibar oder der letzte Grund" entscheiden sich die Protagonisten - nachdem sie die Jüdin Judith und die Holzskulptur "Lesender Klosterschüler" vor den Nazis gerettet und nach Schweden gebracht haben - gegen einen Fluchtversuch, und kehren nach Deutschland zurück. Der Selbstzweifel, die Fehlentscheidung und das Scheitern als Folge sind wiederkehrende Elemente im Werk Anderschs.

Strukturell bricht diese Prosa dabei häufig mit traditionellen Erzählweisen. Andersch verarbeitet dokumentarisches Material, Zitate und andere Versatzstücke montageartig in seinen Texten. Innere Monologe treffen auf äußere Kommentare und chronistischen Einlassungen. Der Konflikt zwischen Masse und Individuum, der Einzelne, der sich gegen ein Kollektiv stellt, die Entscheidung als Lebensentscheidung, Überwerfung und Zerrissenheit - alle diese Versatzstücke fügen sich in Büchern wie "Winterspelt" zu einem Ganzen, welches die Grausamkeit des Krieges nicht zuletzt in der zersprengten Struktur nachzubilden versucht.



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