Deutscher Sachbuchpreis 2022 Raben, Schimpansen, Putzerfische: Können Tiere denken?

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Kann nichtmenschlichen Lebewesen Rationalität zugeschrieben werden? Ein Bewusstsein? Jahrhunderte, Jahrtausende lang glaubte der Mensch sich in genau diesem Punkt von anderen Tieren zu unterscheiden. Wie aber sieht der gegenwärtige Forschungstand zu diesem Thema aus? In seinem Buch "Das rationale Tier" gewährt der Wiener Kognitionsbiologe Ludwig Huber Einblicke in die wichtigsten Experimente und Beobachtungen zu diesem Schwerpunkt. Aufschlussreich und spannend. "Das rationale Tier" steht auf der Shortlist des Deutschen Sachbuchpreises 2022.

Können Tiere denken? Der Wiener Kognitionsbiologe Ludwig Huber geht genau dieser Frage nach. Sein ebenso grundlegendes wie umfangreiches Buch "Das rationale Tier" steht in diesem Jahr auf der Shortlist des Deutschen Sachbuchpreises Bild: Suhkamp

Sie bauen Werkzeuge, lesen Gedanken, kommunizieren über komplexe Systeme, planen und errichten zum Teil architektonische Meisterwerke. So einiges hat der Mensch aus der Tierwelt übernommen, und dennoch tun wir uns oft schwer damit, Affen, Hunden, Bienen, Krähen, Keas, Pfeilgiftfröschen, Schildkröten oder Kraken so etwas wie Rationalität zuzuschreiben. In seinem Buch "Das rationale Tier" beschäftigt sich Ludwig Huber auf grundlegende Weise mit der Frage, ob wir Tieren ein Bewusstsein zugestehen können, und legt damit eine ebenso spannende wie aufschlussreiche "kognitionsbiologische Spurensuche" vor. Huber führt darin nicht nur den aktuellen Forschungstand, Experimente und Beobachtungen vor Augen, sondern zeigt auch, wozu wir das Wissen über den Geist der Tiere heute verwenden können. Nicht zuletzt mit Blick auf zum Teil unvorhersehbare Naturereignisse, auf den Klimawandel und das entfremdete Weltverhältnisse hochindustrialisierten Länder können wir aus diesen Beobachtungen lernen. Huber schreibt: "Um sie zu retten, müssen wir uns kümmern, und kümmern können wir uns nur, wenn wir sie verstehen."

Fesselnd ist dieses Buch nicht zuletzt aufgrund seiner Vehemenz und Nachvollziehbarkeit. Denn auch wenn es um die unglaublich faszinierenden Fähigkeiten der Tierwelt geht, sehen wir uns mit einem Überangebot in Form von Büchern und Dokumentationen konfrontiert. Da ist es beinahe erfrischend, dass Huber strikt an der vorformulierten Frage - können Tiere denken? - festhält, und keine allzu blumigen Abschweifungen zulässt.

Der Mensch: Das Tier, das denkt?

Ludwig Huber leitet die Abteilung für vergleichende Kognitionsforschung an der Universität Wien, wo er sich seit Jahren mit den kognitiven und emotionalen Fähigkeiten von Tieren beschäftigt. In "Das rationale Tier" gewährt er Einblicke in die Vorgehensweisen und Forschungsmethoden von Biologen, Verhaltensforschern und Psychologen. Den Inhalt des über 600 Seiten starken Buches teilt er dabei in sechs Teile. Unter anderem geht es um die kreative Herstellung und den Gebrauch von Werkzeugen; um technische Intelligenz; um komplexe Kommunikationsformen; aber auch um die Theorie des Geistes und darum, wie wir über den eigenen Wissensstand nachdenken. Die im Buch ausformulierten und umfassend bearbeiteten Punkte definieren laut Huber das rationale Denken.

Dass die Kernfrage seines Buches sich einer einfachen Beantwortung entzieh, wird kaum überraschen. Dennoch stellt Huber diesen Punkt gleich zu Beginn des Textes noch einmal heraus; nicht zuletzt, um jenen Philosophen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die die Fähigkeit zu Denken an die menschliche Sprache binden.

Eine der umstrittensten Fragen

Die Frage nach dem Bewusstsein bei Tieren in solch vehementer Weiser anzugehen ist insofern interessant, als diese Thematik die Forschung seit langem schon umtreibt. Oft wurde sie mit dem Argument abgetan, man könne hier keine eindeutigen Aussagen treffen. Hierbei ist die vorherrschaftliche Stellung des Menschen im evolutionären Prozess nicht unwichtig. Der Nachweis eines tierischen Bewusstseins würde - so einige Fachleute - die Sonderrolle des Menschen als Homo habilis grundsätzlich in Frage stellen.

Huber zeigt, dass dieser Ansatz durchaus auch umgekehrt werden kann. Statt die kognitionsbiologische Forschung als Akt einer Delegitimierung zu lesen, können Erkenntnisse jener Forschung auch auf menschliche Verhaltensweise projiziert und abgeglichen werden. Insbesondere in einer zunehmend technologisierten Welt kann man dabei auf durchaus spannende Ansätze stoßen. Huber schreibt: "Vielleicht ist unser Denken viel kleinteiliger und partikulärer, viel weniger theoretisch, stärker in unsere Umwelt eingebunden und von ihr bedingt, als wir bisher vermutet haben."

"Das rationale Tier" ist alles in allem eine umfangreiche Darlegung zu einem hochspannenden Thema. 670 Seiten, die tiefe Einblicke in die Denkleistungen nicht nur von Krähen und Schimpansen, sondern auch Putzerfischen und Pfeilgiftfröschen bieten.


Ludwig Huber - "Das rationale Tier. Eine kognitionsbiologische Spurensuche"; Suhrkamp Verlag; 671 Seiten, 34 €

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