Die Osteuropa-Korrespondentin Alice Bota zeichnet in ihrem Buch "Die Frauen von Belarus" die Geschichte eines Aufstandes nach, dessen Bilder im Sommer 2020 um die Welt gingen. Nach der gefälschten Präsidentschaftswahl in Belarus und dem vermeintlichen Sieg Alexander Lukaschenkos, organisierten Demonstrantinnen friedlichen Widerstand, der brutal von dem repressiven Regime niedergeschlagen wurde. Bota porträtiert die drei maßgeblichen Protagonistinnen der Bewegung: Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo. "Die Frauen von Belarus" ist für den Deutschen Sachbuchpreis 2022 nominiert.
Auch wenn derzeit andere Ereignisse im Mittelpunkt unserer nur allzu kurzweiligen Aufmerksamkeit stehen, wird man sich an jene Bilder erinnern, die im Sommer 2020 um die Welt gingen. Nach einer gefälschten Präsidentschaftswahl in Belarus erklärte sich der Diktator Alexander Lukaschenko am 9. August zum Sieger einer scheindemokratischen Abstimmung. Kurz darauf regte sich heftiger Widerstand; landesweit waren Massenproteste zu sehen. Das Regime reagierte hart und skrupellos mit Festnahmen, Folter und Einschüchterung. Auch von Vergewaltigungen und Misshandlungen der in U-Haft genommenen Oppositionellen war die Rede. Der Widerstand jedoch, wurde damit nicht gebrochen. Insbesondere die belarussischen Frauen wurden in jenem Sommer vor zwei Jahren zu einem Symbol der Freiheitsbewegung. Was bewegte sie? Wofür standen sie ein? Woher der plötzliche Mut? Diesen Fragen geht die Osteuropa-Korrespondentin Alice Bota in ihrem nun für den Deutschen Sachbuchpreis nominierten Buch "Die Frauen von Belarus" nach. Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf die drei Protagonistinnen, die maßgeblich für die Bewegung waren: Die Englischlehrerin Swetlana Tichanowskaja, die Flötistin Maria Kolesnikowa und die IT-Managerin Veronika Zepkalo.
Der enttäuschende Präsident
Die Autorin zeigt, warum den Frauenprotesten eine so starke Bedeutung beizumessen ist. Die Geschichte dahinter beginnt in jenen Jahrzehnten, in denen Alexander Lukaschenko als Vaterfigur und Beschützer der Nation auftrat. Da das Regime dafür sorgte, dass soziale Garantien wie Elterngeld, Mutterschutz und Kitaplätze weiterhin fortbestehen, konnte sich Lukaschenko viele Jahre lang den Stimmen der Frauen sicher sein. Sie unterstützen ihn und zementierten somit seine Herrschaft, schreibt Bota. Der despotische Charakter Lukaschenkos wurde dabei sogar als imponierend wahrgenommen.
Dass es nun ausgerechnet die Unterstützerinnen der ersten Stunde sind, die sich vehement gegen das Regime richten, ist daher umso verblüffender. Alice Bota stellt die Geschichten der Frauen vor, spricht mit ehrenamtlichen Pflegekräften und Frauen aus der IT-Branche und fragt, aus welchen Gründen sie sich nun der Opposition angeschlossen haben. Dabei wird deutlich, dass es vor allem der Umgang mit den Frauen in U-Haft ist, der sie auf die Straße trieb. Von routiniert durchgeführter Folter ist dabei die Rede, von sexuellen Angriffen bis hin zu Vergewaltigen, mit denen Lukanschenkos Schergen versuchen, die Frauen "zu vernichten".
Die Speerspitze der Proteste
Drei Frauen nimmt Bota besonders in den Blick. Maria Kolesnikowa, Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo bildeten die Speerspitze der Proteste; drei Frauen, die, wie sie selbst sagen, von der Politik in den politischen Aktivismus gezwungen wurden. Da die Männer der Frauen daran gehindert wurden, sich zur Wahl zu stellen, übernahmen die von Lukaschenko bis Dato noch belächelten Frauen diese Aufgabe. Eine Hausfrau, eine IT-Managerin und eine Musikerin tourten plötzlich quer durchs Land, sprachen mit Journalisten und wurden schließlich zu einer realen Gefahr für den Diktator. Lukaschenko bekam Angst, und reagierte entsprechend hart. Tichanowskaja und Zepkalo mussten ins Ausland flüchten, Maria Kolesnikowa sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft und wartet auf ihr Urteil.
Gründe und Kritik
Grund für den Ausbruch der Proteste sieht die Autorin auch in Lukschenkos Umgang mit der Corona-Pandemie. Der von dem Herrscher an den Tag gelegte Zynismus, die Verhöhnung der Toten und die allgemeine Ignoranz und Abfälligkeit habe dafür gesorgt, dass eine neue, aus gemeinsamen Frust erwachsene Zivilgesellschaft entstehen konnte. Kolesnikowa, Tichanowskaja und Zepkalo politisches Intervenieren traf plötzlich auf mehr Zuspruch, als man sich von Seiten des Regimes vorstellen konnte.
Auch in Richtung Westen sendet Alice Botas Buch kritische Töne. So stellt sie klar, dass sich die feministischen und antisexistischen Zeitschriften EMMA, Pinkstinks und das Missy Magazin kaum für die Proteste in Belarus interessierten.
Zwar sei der Kampf, der im Sommer 2020 in Belarus vom Zaun gebrochen wurde, heute versiegt. Der Aufstand aber hätte dazu beigetragen, dass die belarussische Gesellschaft ihre Kraft entdeckt und sich verändert habe. Diese Veränderungen, so ist Bota überzeugt, werden nachwirken und sich strukturell auf die Entwicklungen des Landes auswirken.
Alice Bota: "Die Frauen von Belarus. Von Revolution, Mut und dem Drang nach Freiheit"; Berlin Verlag, 2021; 240 Seiten, 18 Euro