Gerade in schwierigen Zeiten wie diesen kann die Lektüre des richtigen Buches dabei helfen, besser mit Angst, Stress und Überforderung umzugehen. Literatur kann Bewältigungsstrategie sein, kann Einsamkeit überwinden und daran erinnern, wie wichtig es ist, auch in Krisenzeiten hoffnungsvoll zu bleiben. Um Ab- und Umbrüche drehen sich auch die Bücher, die in der kommenden Ausgabe der "Buchzeit" besprochen werden. Vier Romane hat man aus dem breiten Sortiment der Frühjahrs-Programme ausgewählt. Am Sonntag (20. März) diskutiert der Philosoph und Autor Gert Scobel vier Romane mit den Literaturexpertinnen Barbara Finken, Sandra Kegel und Katrin Schumacher.
Gert Scobel, Barbara Finken, Sandra Kegel und Katrin Schumacher diskutieren in der kommenden "Buchzeit"-Ausgabe über aktuelle Romane von Georgi Gospodinov ("Zeitzuflucht"), Esther Kinsky ("Rombo"), Emmanuel Carrère (Yoga) und Jan Kjærstad ("Mr. Woolf"). "Buchzeit" wird am am Sonntag, 20. März 2002, um 18.00 Uhr im 3sat ausgestrahlt, und ist am selben Tag in der 3sat Mediathek abrufbar.
Georgi Gospodinov: "Zeitzuflucht"
Georgi Gospodinov ist einer der größten und wichtigsten Gegenwartsautoren Bulgariens. In seinem Roman "Zeitzuflucht" lässt er seinen flanierenden Protagonisten Gaustine durch die Zeit reisen. In Zürich eröffnet dieser eine "Klinik für die Vergangenheit", in der jedes Stockwerk einer anderen Epoche gewidmet ist.
In Georgi Gospodinovs Roman trifft der Erzähler auf Gaustine, einen Flaneur, der durch die Zeit reist. Er liest alte Nachrichten, trägt Vintage-Kleider und erforscht die verschlungenen Pfade des 20. Jahrhunderts. In Zürich eröffnet Gaustine eine »Klinik für die Vergangenheit«, eine Einrichtung, die Alzheimer-Kranken eine inspirierende Behandlung anbietet: Jedes Stockwerk ist einem bestimmten Jahrzehnt nachempfunden. Patienten können dort Trost finden in ihren verblassenden Erinnerungen. Aber auf einmal interessieren sich auch immer mehr gesunde Menschen dafür, in die Klinik aufgenommen zu werden, in der Hoffnung, den Schrecken der Gegenwart zu entkommen. Schließlich kommt es zu einem Referendum der europäischen Staaten, die gemeinsam darüber entscheiden, in welches Jahr des 20. Jahrhunderts sie zurückkehren wollen... Ein glänzender, politischer Roman, durchzogen von dunklem Witz, der uns eine neue Art eröffnet, unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenzudenken. (Ankündigung/Aufbau)
Esther Kinsky: "Rombo"
In "Rombo" präsentiert uns Esther Kinsky sieben Bergbewohner der italienischen Region Friaul-Julisch Venetien, die im Mai und September 1976 von zwei schweren Erdbeben erschüttert wurde. Sieben Erinnerungen an wenige Stunden, die Tausenden von Menschen das Leben kosteten.
Im Mai und im September 1976 erschüttern zwei schwere Erdbeben eine Landschaft und ihre Bevölkerung im nordöstlichen Italien. An die tausend Menschen sterben unter den Trümmern, Zehntausende sind ohne Obdach, viele werden ihre Heimat, das Friaul, für immer verlassen. Die Materialverschiebungen infolge der Beben sind gewaltig, sie bilden neues Gelände, an denen sich die Wucht des Eingriffs ablesen und in die Begriffe der Naturkunde fassen lässt. Doch für das menschliche Trauma, für die Erfahrung der plötzlich zersprengten Existenz, lässt sich die Sprache nicht so einfach finden. (Ankündigung/ Suhrkamp)
Emmanuel Carrère: "Yoga"
Eigentlich sollte es ein heiteres, etwas ironisches Büchlein über Yoga werden, das Emmanuel Carrère da schreiben wollte. Doch dann stirbt ein enger Freund bei dem Anschlag auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo. Bei Carrère wird eine bipolare Störung diagnostiziert. Nach einem Klinikaufenthalt reist er nach Griechenland, wo er auf andere Entwurzelte trifft.
Alles beginnt gut: Emmanuel Carrère erfreut sich eines gelungenen Lebens und plant ein feinsinniges Büchlein über Yoga. Heiter und sachkundig will er seine Erkenntnisse über die »inneren Kampfkünste« darlegen, die er er seit einem Vierteljahrhundert praktiziert. Bei seinen Recherchen in einem Meditationszentrum läuftt noch alles bestens, doch dann wird er eingeholt: vom Tod eines Freundes beim Anschlag auf Charlie Hebdo, von unkontrollierbarer Leidenschaft , Trennung und Verzweiflung. Sein Leben kippt, eine bipolare Störung wird diagnostiziert und Carrère verbringt vier quälende Monate in der Psychiatrie, wo er versucht, seinen Geist mit Gedichten an die Leine zu legen. Entlassen und verlassen lernt er auf Leros in einer Gruppe minderjähriger Geflüchteter ganz anders Haltlose kennen, aber findet auch Trost durch Musik und Gespräch. Zurück in Paris stirbt sein langjähriger Verleger, und doch gibt es am Ende auch wieder Licht. Denn Yoga ist die Erzählung vom mal beherrschten, mal entfesselten Schwanken zwischen den Gegensätzen. Durch eine schonungslose Selbstanalyse zwischen Autobiografie, Essay, Chronik und Roman gelingt Carrère der Zugang zu einer tieferen Wahrheit: was es heißt, ein in den Wahnsinn der heutigen Welt geworfener Mensch zu sein. (Ankündigung: Matthes & Seitz Berlin)
Jan Kjærstad: "Mr. Woolf"
Der Norweger Jan Kjærstad erzählt in seinem neuen Roman von William Abelson, der zwar in Physik promoviert hat, jetzt jedoch als Barista in einem trendeigen Café arbeitet. Als ihn sein besorgter Vater nach Hongkong schickt, wo Abelson seine verschwundene Schwester ausfindig machen soll, beginnt ein ungeahntes Abenteuer.
Wie entsteht eine Idee, die für die gesamte Menschheit von Bedeutung ist? Eines Tages trifft William Abelson sich mit seinem Vater zum Lunch. William besitzt zwar einen Doktortitel in Physik, doch sein Leben hat einen Riss bekommen, er arbeitet seit mehreren Jahren als Barista in einem trendigen Café. Sein Vater ist der Betreiber des Spielwarenladens »Stjerneplassen Leker«, und William glaubt, es handle sich um ein gewöhnliches Mittagessen, bei dem sein Vater ihm von seinen finanziellen Sorgen berichtet. Doch der Vater hat etwas anderes auf dem Herzen: Elizabeth, Williams Schwester, ist verschwunden. Der Vater glaubt, es könnte ihr etwas zugestoßen sein. Dass sie in Gefahr ist. William erhält den Auftrag, nach Hongkong zu reisen, wo seine Schwester sich aller Wahrscheinlichkeit nach aufhält. Wie schwierig kann das schon sein?, denkt William. Ich brauche bloß meine Schwester zu finden und sie nach Hause zurückzubringen. Am Flughafen in Hongkong erwartet ihn eine Überraschung: William wird mit einem Rolls-Royce abgeholt und ins Peninsula, eines der luxuriösesten Hotels der Stadt, gefahren. Völlig unvorbereitet macht er in den nächsten Tagen Bekanntschaft mit Menschen und einem Milieu, das alles auf den Kopf stellt und ihn auf die Fährte verblüffender Erkenntnisse führt... (Ankündigung/Septime/Auszug)
"Buchzeit"
Die "Buchzeit" wird im Mainzer Zentrum für Kunst und Wissenschaft Cadoro ohne Publikum aufgezeichnet. Der Philosoph und Autor Gert Scobel diskutiert mit den Literaturkritikerinnen Barbara Finken (Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München), Sandra Kegel (Journalistin und Ressortleiterin des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) und Katrin Schumacher (Literaturwissenschaftlerin und Journalistin, Redakteurin beim Mitteldeutschen Rundfunk).