Vier ukrainische Literaturinstitutionen haben kürzlich dazu aufgerufen, russische Bücher und Verlage vollständig zu boykottieren. In der gemeinsam vom Ukrainischen Buchinstitut, dem Lviv International BookForum, dem PEN Ukraine und dem Book Arsenal in Kiew verfassten Forderungen heißt es, das "russische Narrativ" werde verstärkt durch kulturelle Produkte - insbesondere Bücher - verbreitet. Mit "Narrativ" sind hierbei wohl propagandistische Inhalte gemeint, die Putins Russland- beziehungsweise Weltbild stützen. KritikerInnen reagierten schnell und waren sich zu weiten Teilen darin einig, dass ein solches Boykott gerade die falschen Akteure treffen würde. Jetzt hat auch die IG Meinungsfreiheit den aufgelisteten Forderung eine deutliche Absage erteilt.
Viele wichtige Schritte zur Unterbindung der russischen Propaganda seien bereits unternommen worden, heißt es in einem Appell, den vier ukrainische Literaturinstitutionen in der vergangenen Woche an die Buch- und Verlagswelt gerichtet haben. Nun solle auch die Literaturszene und der Buchmark reagieren, und die Verbreitung von Büchern russischer AutorInnen und Verlage stoppen. Darüber hinaus solle man keine Rechte mehr von russischen Verlagen erwerben (oder Rechte an diese verkaufen), russische Verlagshäuser, Kulturzentren und AutorInnen von der Teinahme an allen internationalen Literaturveranstaltungen ausschließen und Stipendien für Übersetzung zeitgenössischer russischer Autoren in andere Sprachen beenden.
Russische Bücher verbieten? "Dann hätte der Wahnsinn gesiegt"
Ihre Forderungen begründen die Unterzeichner damit, dass das "russische Narrativ" besonders stark über kulturelle Produkte - insbesondere über Bücher - verbreitet werde. Der ukrainische Vorstoß stieß sogleich auf heftigen Widerstand, schließt er doch auch all jene Autorinnen und Autoren ein, die sich deutlich gegen den Krieg positionieren, sich gegen Putin stellen und somit nicht weniger als ihr Leben riskieren.
Auch das Deutsche PEN-Zentrum wies die Forderungen der ukrainischen Literaturinstitutionen entschieden zurück. Man begrüßte die Maßnamen gegen die russische Kriegswirtschaft, forderte aber einen konsequenten Ausschuss aller russischer Banken aus dem SWIFT-System. Angesichts dieser inkonsequenten Maßnahmen sei die Forderung, Bücher russischer AutorInnen zu boykottieren nur eine symbolische Ersatzhandlung. Das Deutsche PEN-Zentrum warnte vor Pauschalisierenden und unreflektierten Anfeindungen gegenüber Russinen und Russen. Denn: Dann hätte der Wahnsinn gesiegt.
IG Meinungsfreiheit spricht sich gegen Forderung aus
Jetzt hat auch die IG Meinungsfreiheit auf die Forderung reagiert, und den Literaturinstitutionen eine deutliche Absage erteilt. Man könne den von den ukrainischen Literaturinstitutionen geforderten "weltweiten Boykott russischer Bücher, Autor:innen und ihrer Verlage nicht unterstützen, schreiben die Sprecher der Interessengruppe, Margit Ketterle (Droemer Knaur) und Michael Lemling (Buchhandlung Lehmkuhl, München).
Zwar müsse man alle diplomatischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um Russland zu sanktionieren. "Solch ein Appell für einen Totalboykott von Büchern ist aber erschreckend." Darüber hinaus machen die Sprecher klar, dass die in deutschen Verlagen publizierte, russische Literatur weder Putin Propaganda bediene, noch "Waffen und Vorwände für den Krieg" liefere, wie es im ukrainischen Appell hieß. Mit verweis auf SchriftstellerInnen wie Ljudmila Ulitzkaja, Vladimir Sorokin und Viktor Jerofejew appelliert die IG Meinungsfreiheit für die Kunstfreiheit in allen Zeiten und unter allen Umständen.