Spätestens mit seiner "The Kinks"-Adaption "Lola" wurde Heinz Rudolf Kunze in Deutschland das, was man einen kommerziellen Künstler nennen kann. Kurz zuvor war bereits seine ebenfalls viel beachtete Single "Sicherheitsdienst" erschienen, mit der sich der bis dato noch als "Niedermacher der Achtzigerjahre" bekannte Kunze als intellektueller Pop-Poet etablierte. In seiner Ende 2021 erschienen Autobiografie "Werdegang" schreibt er nun über seine Liebe zur Musik, von einer Kindheit und Jugend im Aufschwung der Wirtschaftswunder-Erzählung und dem Wunsch, ein Werk zu hinterlassen, das sein Leben rechtfertigt.
"Es geht mir, und ich glaube, da spreche ich jetzt mal wirklich für alle Kollegen, sehr schlecht.", sagte der Liedermacher Heinz Rudolf Kunze kürzlich in einem Interview mit der "Neuen Presse". Als Musiker sei er von den Coronabeginten Einschränkungen betroffen wie kaum ein anderer. Er kenne junge Künstler, die darüber nachdenken würden, ihren Beruf zu ändern und das aufzugeben, was sie lieben. "Die Depression ist monumental". Vor dem Hintergrund seiner Ende des vergangenen Jahres erschienen Autobiografie "Werdegang", klingen Kunzes Worte bitter nach. Nicht das man die Autobiografie gebraucht hätte, um zu erkennen, wie existenziell sich die Einschränkungen auf die gesamte Kunstszene niederschlagen. Doch Sätze wie "Meine Wege sind tatsächlich beim Gehen entstanden" machen die Unerträglichkeit eines nunmehr über zwei Jahre andauernden Stillstands mit Nachdruck spürbar.
Mit der Übersetzung des hochaktuellen "The Kinks"-Songs "Lola" feierte Kunze 1984 seinen ersten großen Hit. Sein nach wie vor bekanntester Song - "Dein ist mein ganzes Herz" - erscheint ein Jahr später. Hinter einem sich nur scheinbar auf der Oberfläche kitschiger Sehnsuchts- und Verlassenheits-Lieder bewegenden Song, verbirgt sich ein tiefer Zwiespalt; ein Riss, der sich quer durch die Beziehung des Liedermachers zu seinem Vater zieht, der während der Zeit des Nationalsozialismus SS-Mitglied war. Die Liebe zum Vater war ebenso unmöglich wie notwendig. Der Versuch einer widerspruchsfreien Beziehung ein niemals endender Prozess.
Die Angst, nicht bleiben zu dürfen
Unter anderem auf diesen Umstand sind die Panikatacken und Ängste zurückzuführen, an denen Kunze sein Leben lang leidet und die er in seinem Buch schonungslos offenlegt. Ein Rückblick, der Textzeilen ans Tageslicht bringt, für die sich der Liedermacher heute schämt. Die beinahe verlorenen Freundschaften, die zerbrochene Ehe, die Kehrseite der Angst vor dem Scheitern, die zugleich zum stärksten Antrieb wird. Er wollte, dass sie Leute zu ihm sagen können: "Du darfst bleiben".
Die obsessive Begeisterung für das Musikalische wird an jenen Stellen deutlich, an denen Kunze über Idole, über Bands und Musiker spricht, die ihn nachhaltig prägten und begeisterten. Musiker wie Costello oder Bruce Springsteen; Bands wie "Yes", "Henry Cow" oder "The Who", mit denen, wie wir erfahren, vieles begann und alles enden soll.
Wenn Kunze an anderer Stelle damit beginnt, sein eigenes Werk zu kanonisieren, dann geschieht dies frei von jeglicher Selbstreferenzialität. Hier spricht jemand, der die Kunst liebt. Der im uneindeutigen, freien Spiel der Kunstproduktion eigene Traumata anzusiedeln versucht, Unlösbares, das sich in der Ambiguität einzelner Zeilen und Kompositionen niederschlägt. Ein Schwärmer voller Schaffensdrang, der an einigen Stellen dieses Buches doch erschreckend konkret wird. Sein übergeordnetes Ziel jedenfalls, ein Werk zu schaffen, das sein Leben rechtfertigt, hat Heinz Rudolf Kunze bereits erreicht.
Heinz Rudolf Kunze: "Werdegang"; Reclam, 288 Seiten, 28 Euro