Manfred Krug zählte zu den bedeutendsten Künstlern der DDR. Hier kannte man ihn nicht nur als Schauspieler aus Filmen wie "Spur der Steine" oder "König Drosselbart", sondern schätze ihn auch als avancierten Jazz-Musiker. Im Alter von 40 Jahren ging er in den Westen, wo er weitere Triumphe als "Tatort"-Kommissar und als Anwalt in der Serie "Liebling, Kreuzberg" feierte. Krug lebte rasant, obsessiv. Affären, Alkohol, Zigaretten. Pünktlich zu seinem 85. Geburtstag am 8. Februar wurden nun seine Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 1996/97 freigegeben. Unter dem Titel "Ich sammle mein Leben zusammen" erscheinen diese gebunden im Kanon Verlag.
Würde jemand die - zugegebenermaßen blöde - Frage stellen, was man aus Manfred Krugs Tagebüchern lernen könne, so könnte man einen Eintrag Krugs aus dem Kontext reißen und antworten: "manches über Rhythmus, den jeder Film braucht, und über Doofheit, die jeden Film verdirbt." In den nun vorliegenden Tagebüchern schreibt Krug dies in Bezug auf die Zusammenarbeit mit einer Regisseurin. Das mit dem Rhythmus und der Doofheit habe sie inzwischen verstanden, heißt es weiter, "... nun gibt es nur noch Meinungsverschiedenheiten darüber, was Rhythmus und was Doofheit ist."
Unangenehm und hochpotent
Als Autor, Schauspieler und Jazz-Sänger hat Manfred Krug das Publikum in Ost und West überzeugen können. Mit dem Buch "Ich sammle mein Leben zusammen" erhalten wir nun Einblicke in das getriebene, oft rücksichtslos gelebte Leben eines Tausendsassas, das von Affären, Zweifeln und - vor allem - unermüdlicher Produktivität gekennzeichnet war. Gerade zu Beginn tritt uns Krug hier als unangenehmer, hochpotenter Kerl gegenüber, ein Chauvinist erster Klasse, dem viele Ausrutscher verziehen werden. Im Alter von 60 Jahren wird der Schauspieler noch einmal Vater einer unehelichen Tochter. Seine Frau Ottilie, mit der er bereits 3 Kinder hat, ahnt zwar, dass es da eine Geliebte ist, weiß aber nichts von dem Kind. Schweigen.
Krug macht weiter, muss weitermachen, kann nicht still bleiben. Mal streitlustig, mal nachdenklich, aber immer in Beschäftigung. Eine Überproduktivität, hinter der sich allerdings eine Zerrissenheit versteckt. Denn ein Zuhause gibt es nicht für Krug, die DDR-Überwachungsmaschinerie prangert er ebenso an wie den Kapitalismus der BRD. Irgendwo dazwischen stürzt er sich in die Arbeit, um nirgends ankommen zu müssen.
Todtraurig und still
1997 wendet sich das Blatt. Krug erleidet einen Schlaganfall; den Unermüdlichen trifft die Müdigkeit. Weniger Zigaretten, nicht ganz so deftiges Essen, Alkohol nur in Maßen. Das Gehen und Sprechen muss er neu erlernen. Im selben Jahr, drei Monate zuvor, ist sein bester Freund, der Schriftsteller und Drehbuchautor Jurek Becker, gestorben. Krug schreibt: "Der größte Ganove kann sich an den eigenen Tränen reinigen. Ich weiß, warum das Tier über die Fähigkeit zu weinen nicht verfügt. Es braucht sie nicht. Keine Ganoven unter den Tieren."
"Ich sammle mein Leben zusammen" bildet zwei intensive, mit aller Gewalt, mit Frust und Selbstbewusstsein geführte Jahre ab. Kompromisslos geht Krug gegen sich selbst und gegen die Welt ins Gericht. Am Ende sind es die stillen Momente, die am stärksten nachwirken. Es sind ausgerechnet jene, die Krug nicht willentlich initiierte.
Manfred Krug - "Ich sammle mein Leben zusammen"; Kanon Verlag, 2021, 220 Seiten, 22 Euro