Jakob Augstein - "Strömung" Das Porträt einer untergehenden Männerwelt

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Der Mittvierziger Franz Xaver Misslinger legte - trotz seines Namens - einen kometenhaften Aufstieg hin. Doch seine Sicht auf die Welt beginnt zu bröckeln. Nicht zuletzt die Diskussionen mit seiner 16-jährigen Tochter Luise machen ihm deutlich, dass seine Zeit abgelaufen ist. Bild: Aufbau Verlag

Jakob Augstein ist viele Jahre lang als Verleger und rethorisch nicht unbegabter Kolumnist in Erscheinung getreten. Nun legt der Sohn des "Spiegel"-Gründers seinen ersten Roman vor. In "Strömung" sehen wir uns mit einem erfolgreichen Mittvierziger konfrontiert, der sich an einem Scheidepunkt in seinem Leben befindet. Sprach- und machtlos steht er plötzlich vor einer ihm fremd gewordenen Welt. Das Porträt eines untergehenden Aufstrebenden. Interessant an diesem Roman ist ein Punkt, den Augstein vermutlich nicht im Blick hatte: Mit dem Entschluss, ein solches Buch zu schreiben, ist er seiner neoliberalen Hauptfigur erschreckend nahe gekommen.

Der Mittvierziger Franz Xaver Misslinger legte - trotz seines Namens - einen kometenhaften Aufstieg hin. Er war Landesvorsitzender, ist Mitglied im Bundesvorstand und Generalsekretär; jetzt will er ganz an die Spitze seiner Partei und die Führung übernehmen. Dass er Misslinger heißt, wendet der Rhetoriker während seiner flammenden Reden stets ins Positive: Das Scheitern, sagt Misslingen, höre bei ihm mit dem Namen auf. So witzlos und einfach das ist - es funktioniert. Dass es funktioniert, lässt auf die einfachen Gemüter seiner Parteikolleginnen und Kollegen schließen, die sich Freiheit auf die Fahne schreiben, und damit Wahlfreiheit meinen.

Politische Vorbilder?

Als Schlüsselroman will Augstein sein Buch nicht verstanden wissen, weshalb er die biografischen Daten seines Antihelden deutlich von der Biografie Christian Lindners - den man immer wieder an Misslinger heften möchte - distanziert. Übereinstimmungen mit realen Vorbildern finden sich auch bei den anderen Figuren des Romans nicht. Wenn jedoch von Aufbruchsstimmung und einem sich selbst regulierenden Markt die Rede ist, wenn von Entfesselung gesprochen und geschrien wird, dann kommen von selbst Bilder auf.

Der Aufstiegsgedanke - ein weiteres liberales Schlagwort - wird von der Figur Misslinger unmissverständlich verkörpert. Dessen Karriere begann in den Nullerjahren. Rücksichtslos und gewissermaßen radikal warf sich der Aufstrebende damals in das Getümmel einer sich rasant verwandelnden Welt. Ein Typus Mensch, der zerstörerisch um sich schlägt, und dessen Lebensmotto "weiter, schneller, höher" noch nie so stark kritisiert und zugleich so en vogue war wie es gegenwärtig der Fall ist.

Verschenkte Chancen

Dass in der "schneller, weiter, höher"-Kritik der Kritisierenden selbst der Wunsch steckt, möglichst schnell weiter und höher zu kommen, dass es also systematische Pfadabhängigkeiten und Sachzwänge gibt, scheint Augstein entweder nicht zu sehen, oder erzählerisch nicht umsetzen zu können. Stattdessen stellt er seiner neoliberalen Hauptfigur - und nichts könnte einfacher sein - dessen 16 jährige Tochter Luise entgegen, die wiederholt auf die Gefahren des Klimawandels verweist. Wenn der Freiheitsgedanke zur Weltzerstörung führt, gehört dieser gezügelt. Ohne Welt keine Freiheit, so einfach. Misslinger antwortet mit einer Reise nach New York. Dort soll sich Tochter Luise hautnah von den Vorzügen des Freiheitsgeistes überzeugen können.

Doch wir schreiben in diesem Buch den Oktober 2016. Die Trump-Wahl steht kurz bevor, und in den USA brodelt es bereits ordentlich in den Lagern der Demokraten und Republikaner. Die große Freiheit, der Glaube an die Chance, all das also, wovon sich Misslinger sein leben lang hat blenden lassen, scheint längst verronnen. Stattdessen finden Vater und Tochter ein zerrissenes Land wieder, zerrieben von ebenjenen Phantasmen, die Misslinger sich als Ideal setzte. Die nun folgende Identitätskrise wird nur angespielt. Mit einfachen Reflexionen und geistlosem Gerede versucht sich Misslinger zu verorten in einer Welt, die er, ohne ideologischen Überbau, kahl, fremd, gewalttätig vorfinden. Ein erzählerisches Segment, das viel Raum und Chancen bietet, die Augstein allerdings ein weiteres Mal verschenkt.

Kein Mut, keine Aggression, kein Leiden

Letztlich wäre es falsch zu behaupten: Psychologie kann dieser Autor nicht. Nein, es keine Psychologie vorhanden in diesem Roman. Aus diesem Grund auch, muss man sich während der Lektüre immer wieder die Frage stellen, warum das eigentlich geschrieben wurde. Wozu solch ein Buch, das nicht mehr leistet, als mittlerweile altbekannte Positionen in eine Erzählung zu überführen? Alles bleibt hier an der Oberfläche; nirgends bricht der Text, kein Mut zur Selbstverleugnung, keine Aggression, kein Leiden. Gerade hier kommt Augstein seiner Figur erschreckend nahe: In der phantasielosen Lust nach Stringenz und Abgeschlossenheit. In der Lust, etwas Klares und Missverständliches vorzuführen.


Jakob Augstein - "Strömung"; Aufbau Verlag, 301 Seiten, 22 Euro



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