Planmäßig sollte der neue und achte Roman des umstrittenen französischen Skandalautors Michel Houellebecq unter dem Titel "Anéantir" am 7. Januar in Frankreich erscheinen. Vier Tage später war die deutsche Veröffentlichung mit dem Titel "Vernichten" geplant. Da Houellebecq im Vorfeld lediglich ein einziges Interview - mit der Zeitung Le Monde - geführt hatte, gab es, was den Inhalt anbelangt, nur spärliche Informationen zum Buch. Kaum eine Anmerkung, die über den Klappentext hinausging. Entsprechend heftig wurde in den Pariser Redaktionen spekuliert. Dann wurde die Startauflage gehackt. Tatsächlich?
Das Jahr 2022 startet verbittert, melancholisch und abgeschlagen: Skandalautor Michel Houellebecq legt seinen achten Roman vor. Beinahe zeitgleich soll "Anéantir" ("Vernichten") in Frankreich und Deutschland erscheinen. Houellebecq hatte sin neues Werk recht kurzfristig angekündigt. Der Verlag entwarf ein schlichtes, edel anmutendes Cover, die Medien und Massen wurden aufmerksam. Wahrscheinlich witterte man bereits einen nächsten Eklat, ein anstößiges, pietätlos verarbeitetes Thema des großen französischen Provokateurs. Zwei Tage vor Weihnachten platze dann die Spannungsblase und in Paris wurde bekannt, dass die Starauflage von 300.000 Exemplaren gehackt wurde. Eine Raubkopie sei seitdem im Umlauf.
Interessanterweise geht es auch in "Vernichten" - wenn auch nur am Rande - um Deep Fake und Computerhacks. Ein kontrolliert in Szene gesetzter Kontrollverlust des Verlags? Dafür würde sprechen, dass man sage und schreibe 600 Rezensionsexemplare an Zeitschriften und Wohlgesonnene verschickte. Die Bitte, dass bis zum 30. Dezember nichts über den Roman geschrieben werden soll, wurde selbstverständlich großzügig ignoriert. In den Redaktionen wurde fortan fleißig zitiert, in den Sozialen Medien mit dem neuen Houellebecq posiert. Valérie Trierweiler, ehemalige Gefährtin des Ex-Präsidenten François Hollande, postete auf Instagram das Buchcover mit dem Zusatz: "730 Seiten am Kaminfeuer. Danke, Flammarion."
Islam, Deep Fake und sexuelle Entfremdung
Inhaltlich scheint sich der neue Roman mühelos in den houellebecqschen Alles-geht-unter-und-ich-bin-sexuell-frustriert-Kanon eingliedern zu lassen. In einem Interview mit der Zeitung Le Monde fasst Houellebecq zusammen: Im Kern gehe es um einen 47-Jährigen Staatsbeamten Namens Paul Raison und um dessen Frau Prudence. Die beiden führen eine von sexueller Frustration und Entfremdung durchzogene Beziehung. Pauls Vater liegt im Krankenhaus. Der Tod fällt so ins Zwischenmenschliche; gezeigt wird die Annäherung vor dem Abgesang. Am Rande funkeln Themen wie Deep Fake, Hacking und Islam. Politisch gibt es eine deutliche Positionierung: Paul und Prudence wählen Le Pen.
Houellebecq setzt das Buch im Jahr 2027 vor dem Hintergrund der französischen Präsidentschaftswahl an. Der gegenwärtige Staatschef Emmanuel Macron wird zwar nicht genannt, aber deutlich gezeigt. Eine narzisstische, zynische Persönlichkeit, die nun, nach zwei Mandaten, nicht mehr antreten kann. An seiner Stelle tritt Bruno Juge, der, so mutmaßen Pariser Zeitungen längst, ein Porträt des Wirtschaftsministers Bruno Le Maire sein könnte, mit welchem Houellebecq befreundet ist.
Ob Houellebecq auch in seinem neuen Roman Diagnosen stellt, die sich dann auf unheimliche Weise in die Realität mischen, bleibt abzuwarten. Fest steht: Bereits vor seinem Erscheinen regt "Vernichten" dazu an, sich mit der unlösbar gewordenen Frage danach zu befassen, was Zufall, was gesteuert, was Absicht und was Verblendung ist.
"Zukunftsmusik" von Katerina Poladjan auf Platz 1 der SWR-Bestenliste
SWR Bestenliste: Emmanuel Carrères "Yoga" auf Platz 1
SWR Bestenliste: Alois Hotschnig mit "Der Silberfuchs meiner Mutter" auf Platz 1
Das Literarische Quartett am 4. Dezember: Wer spricht über welche Bücher?
Monster von Nele Neuhaus – Ein düsterer Psychokrimi, der die Abgründe der Menschlichkeit offenlegt
Oschmann: Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ – Umstrittene russische Übersetzung
Katja Lange-Müller: "Unser Ole" zu Gast bei Denis Scheck in Druckfrisch
Antonio Skármeta ist tot: Der chilenische Schriftsteller wurde 83 Jahre alt
Buchankündigung: Bela B Felsenheimers neuer Roman "FUN" und Lesereise 2025
Ein Geburtstagskind im September: Liselotte Welskopf-Henrich
Kafka. Um sein Leben schreiben
Iris Wolff mit neuem Roman "Lichtungen" am Sonntag bei Denis Scheck
Der Kapitän, der aus der Wanne steigt
Adam Soboczynski erhält Michael-Althen-Preis für Kritik
Topnews
Ein Geburtstagskind im März: Christa Wolf
Bertolt Brecht – Geburtstagskind im Februar: Ein literarisches Monument, das bleibt
Wie Banksy die Kunst rettete – Ein überraschender Blick auf die Kunstgeschichte
100 Jahre „Der Zauberberg“ - Was Leser heute daraus mitnehmen können
Oschmann: Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ – Umstrittene russische Übersetzung
Überraschung: Autorin Han Kang hat den Literaturnobelpreis 2024 gewonnen
PEN Berlin: Große Gesprächsreihe vor den Landtagswahlen im Osten
„Freiheitsschock“ von Ilko-Sascha Kowalczuk
Precht: Das Jahrhundert der Toleranz
Jenny Erpenbeck gewinnt Internationalen Booker-Preis 2024
Karl Ove Knausgård: Das dritte Königreich
Romanverfilmung "Sonne und Beton" knackt Besuchermillionen
Asterix - Im Reich der Mitte
Rassismus in Schullektüre: Ulmer Lehrerin schmeißt hin
14 Nominierungen für die Literaturverfilmung "Im Westen nichts Neues"
"Die Chemie des Todes" - Simon Becketts Bestsellerreihe startet bei Paramount+
Michel Houellebecq und die "Aufstachelung zum Hass"
Jahresrückblick 2022: Die besten Bücher
"Studio Orange" mit Sophie Passmann: Verhöhnung der Literatur?
Unsere Leseempfehlungen zur Weihnachtszeit
Aktuelles
Der Sandkasten
Bald ist es wieder soweit: Leipzig wird zum Literaturhotspot
Christoph Peters "Innerstädtischer Tod" darf weiter erscheinen
Simons Linien" von Kerstin Fischer – Ein ergreifendes Porträt auf der Suche nach Identität
Literatur im Rampenlicht: ARD, ZDF und 3sat setzen auf Buchmesse-Glamour
Robert Habeck: Den Bach rauf – Der schmale Grat zwischen Ehrlichkeit und Inszenierung
Die besten Psychothriller Bücher: Bestseller & Geheimtipps für Nervenkitzel
