"Rheinland Grapefruit. Mein Leben" - so lautet der Titel der Autobiografie des Liedermachers und Kabarettisten Rainald Grebe, die Ende letzen Monats erschienen ist und bisher ungewöhnlich unbeachtet blieb. Zu unrecht! Denn Grebes Buch kommt ebenso radikal wie reflektiert daher. Erzählt wird die Geschichte eines Lebens, welches, so Grebe selbst, "ein kleines Scheißleben" gewesen war, und gegen die Norm der Mittelschicht geführt wurde. Von der ersten Seite an ist Bissigkeit und Kritik an den Anforderungen eines übersättigten "Kunst"-Marktes nicht zu überhören. Beim bissigen Witz allein bleibt es allerdings nicht. Grebe erzählt vom Einsturz, von "dunkel Wolken" in seinem Kopf und Ansprüchen, mit denen er gescheitert ist.
Nachdem der Kabarettist Rainald Grebe im Jahr 2017 während eines Auftrittes mit heftigen Blackouts zu kämpfen hatte, musste er eine mehrmonatige Pause einlegen. Schlaganfall, lautete die spätere Diagnose. Einige Jahre später, im Januar diesen Jahres, folgte der nächste Sturz: Sechs Infarkte in allen Regionen des Gehirns stellten die Ärzte fest. Sein als Autobiografie gehandeltes Buch "Rheinland Grapefruit. Mein Leben" schreibt er während eines Klinikaufenthaltes. Erinnerungslücken, Aussetzer, "dunkle Wolken", die sich immer wieder ins Gehirn schieben, den Moment verdunkeln und ebenso schnell weiterziehen, wie sie gekommen sind.
Dass diese Momente des "Stromausfalls" schrecklich sein müssen, sollte jede Leserin, jeder Leser ohne Weiteres nachvollziehen können. Umso schrecklicher erscheint diese Zustände, wenn man liest, in welch ein obsessives und aufgewecktes, künstlerisches Leben sie einbrechen. Rainald Grebe, geboren 1971, wohlig warm aufgewachsen im Reihenhaus-Bungalow einer Neubausiedlung in Köln. Ein Kind im Schutze eines bürgerlichen Zuhauses; ein Kind, welches früh den Drang entwickelt, auszubrechen. Schnell ist Grebe von Dingen fasziniert, und sobald es da eine Begeisterung gibt, stürzt er sich mit aller Kraft darauf, ruhelos und bis zum Exzess, ganz gleich ob es sich um das Katalogisieren von Vögeln oder um das Anlegen einer Pflanzensamenbank für die Schülerzeitung handelt.
Gegen die triste Bequemlichkeit
Ebenso ungehalten geht es nach dem Abitur weiter. Das Ziel: Berlin. Straßenkünstler werden. Einige Umwege später ist Grebe als Student an der Ernst-Busch-Schauspielschule eingeschrieben, wird anschließend Schauspieler und Dramaturg am Theaterhaus Jena. Was ihm als Antrieb dient, ist nicht zu überlesen. Er will dem behüteten Elternhaus etwas Radikales, etwas durch und durch Unbürgerliches entgegensetzen, der tristen Bequemlichkeit den Teppich unter den Füßen wegziehen. Am Ende der aus diesem Anspruch erwachsenen Unternehmungen steht dann der Satz: "Ich muss mich damit abfinden, ich zu sein" Die Prägungen scheinen gewonnen zu haben. Die Mittelschicht siegt.
Geschichten von Gestern
All diese Erinnerungen notiert Grebe in der Reha. 2017 hatte er während eines Auftritts in Düsseldorf mit schweren Blackouts zu kämpfen. Schlaganfall, lautete die spätere Diagnose; Grebe musste aussetzen, sich monatelang schonen. 2021 dann der nächste Schicksalsschlag: Sechs kleine Infarkte in allen Hirnregionen. Ausfälle während des Sprechens, erloschene Erinnerung, Wortfindungsstörungen. Aus diesem Zustand heraus schreibt der Kabarettist, Musiker und Schauspieler nun sein Leben nieder. Und wir ahnen: So fragmentarisch wie das Buch formal erscheint, muss es ihm, Grebe, die Erinnerungen durch den Kopf gegangen sein - die ständigen Unterbrechungen findet sich in der collagierten Anordnung einzelner Textfragmente wieder.
Grebe notiert durch die in seinem Schädel aufziehenden dunklen Wolken hindurch - selbst die einfachsten Gedanken, so vermutete man als Leser, womöglich ein Kraftaufwand. Noch immer will der Künstler aufbegehren, ungehalten und gegen den Strich. In jenem Moment, wo das Erinnern am schwersten fällt, fällt es Rainald Grebe ein, sich zu erinnern. Vielleicht ist der Kampf gegen die Mitte doch noch nicht verloren.
Rainald Grebe: "Rheinland Grapefruit. Mein Leben", 2021, Voland & Quist, 333 Seiten, 28 Euro