Mit "Vati" stellt die österreichische Schriftstellerin Monika Helfer ihrem im vergangenen Jahr erschienenen Mutter-Roman "Die Bagage" das väterliche Äquivalent an die Seite. "Vati" erzählt von dem Trauma eines gebrochenen Mannes, von der Wortkargheit einer Nachkriegsfamilie und letztlich von einer Tochter, die diese Kargheit sprachgewaltig überwindet.
Der Protagonist in Monika Helfers autofiktionalem Roman "Vati" ist jener Typus, den Heinrich Böll in den Nachkriegsjahren als Identifikationsfigur etabliert hat: Der schweigsame, in sich gekehrte Kriegsheimkehrer, dem es unmöglich ist, über seine Traumata, über die mit Trauer, Schmerz und Scham gespickten Fronterlebnisse zu sprechen. Er gehört einer Generation an, deren Männerbild Wesensmerkmale wie Härte, Pflicht und stumpfen Gehorsam aufweist. Aus der deutschsprachigen Literatur kennen wir diese Figuren. Für die Kinder waren sie Feindbilder, an denen diese sich abarbeiteten. Mit sämtlichen Mitteln versuchten sie, den tyrannischen Vätern zu entkommen, ihnen etwas entgegenzusetzen und sich also - moralisch wie menschlich - über sie zu erheben. In Monika Helfers für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman "Vati" aber, treffen wir auf eine Vaterfigur, die alles andere als herrisch und befehlend ist. Helfer schreibt über das Trauma eines gebrochenen Mannes, der sein Leben lang ein Außenseiter gewesen war.
Monikas Vater, Josef Helfer, starb im Alter von 67 Jahren. Die Autorin weiß nur wenig über ihn, tasten sich, beim Versuch sein Leben zu rekonstruieren, an alten Fotografien entlang. Sie erkennt ihn als jemanden, der auf Gruppenfotos außen steht, so, als würde er nicht dazugehören. Was Vater und Tochter über alle Maßen verbinden, ist eine nahezu fanatische Bücherliebe, die große Leidenschaft für die Sprache.
Wahr oder erfunden? Beides
An einer Stelle des Romans fragt die über 80-jährige Stiefmutter, ob der Roman, den die Autorin über ihren Vater schreiben will, "wahr oder erfunden" ist. Monika Helfer antwortet: "Beides, aber mehr wahr als erfunden". Richtig. Einen Roman über den eigenen, abwesenden Vater zu schreiben, bedeutet auch, den Vater stellenweise neu beziehungsweise weiter zu schreiben, bedeutet also auch, die Mutter, die eigene Kindheit, die Familie umzuschreiben. Monika Helfer weiß um die Verlockungen und Gefahren des Fiktionalem, und tastet sich gewissenhaft vor.
Wer war Josef Helfer?
Ihr Vater, erfahren wir gemeinsam mit der Autorin, kam als uneheliches Kind einer Sagt zur Welt. Sein Vater war ein Bauer, auf dessen Hof seine Mutter, die Magd, gemeinsam mit dem Kind in einer stallartigen Unterkunft hauste. Einige Dorfbewohner erkennen die Intelligenz des Jungens, fördern ihn, so dass er sogar aufs Gymnasium gehen kann. Das Abitur aber, bleibt aus. Kurz vorher wird er zum Kriegsdienst eingezogen, und muss an die Front nach Russland. Er wird verwundet, verliert ein Bein, wird ins Lazarett eingeliefert und verliebt in eine Krankenschwester, Monika Helfers Mutter.
Das eigentlich zentrale Thema in diesem Buch aber ist die Nachkriegszeit, die Traumata, die auch die Kindheit der Autorin stark geprägt haben. In ihren Eltern erkennt sie zwei Depressive, die sich als vom Leben Versehrte gefunden haben, um die Last, die auf ihren Schultern lastete, gemeinsam zu tragen.
„Ich träume mich auf die Tschengla, 1220 Meter über dem Meer, zurück ins Jahr 1955, ich war acht.“
Der Roman "Vati" ist eine Ansammlung von Worten, die Monika Helfer als Kind nicht hat finden, geschweige denn aussprechen können. So setzt sich dieser Roman aus Reflexionen, Anekdoten und Erinnerungen zusammen, die, wie plötzlich in die Dunkelheit hineinstrahlende Scheinwerfer, immer neue Lebensabschnitte vor Augen führen: Als Kriegsversehrter leitete der Vater eine Heilanstalt für jene Rückkehrer, die sein Schicksal teilten. Ende der 1950er Jahre aber, wird das Erholungsheim in ein Hotel umgewandelt, der Vater verliert den Job. Als seine Frau dann an Krebs stirbt, erleidet er einen psychischen Zusammenbruch und wird in einem Kloster untergebracht. Die familiäre Leidensgeschichte scheint ihren Höhepunkt erreicht zu haben.
Und trotz allem, trotz dieser lethargischen Litanei, treffen wir in diesem Roman durchaus auch auf komische und zuweilen sogar humoristische Passagen. Alles in allem hat Monika Helfer mit "Vati" ein einfühlsames und erschütterndes Familienporträt geschaffen, in welchem Zusammenbrüche und Lichtblicke nicht weit auseinander liegen. Ein Nachkriegsroman, der wortgewaltig gegen den Schrecken des Verstummen ankämpft.
Monika Helfer: "Vati"; Carl Hanser Verlag, 2021, 172 Seiten, 20 Euro