In ihrem Roman "Die nicht sterben" verbindet die Schriftstellerin Dana Grigorcea den Dracula-Mythos um Vlad den Pfähler mit der neostalinistischen Diktatur in Rumänien und der kapitalistischen Gegenwart. Durchgehend stellt sich dabei die Frage, wie man etwas ins Bild setzt; wie Phänomene entstehen, wie Geschichte zum Mythos wird und wie blutrünstig ein System einen solchen aussaugen kann.
Dana Grigorceas für den Deutschen Buchpreis nominierter Roman "Die nicht sterben" ist - das wird früh klar - in einem Ton geschrieben, der an mythische Erzählungen erinnert. Sie kann nicht umhin, diese Geschichte zu erzählen, erklärt uns die hier auftretende Ich-Erzählerin gleich zu Beginn des Buches. Sie kann nicht anders, denn alle bisherigen Berichterstattungen über die folgenden Vorkommnisse seien falsch. Dass das Spiegelbild der Protagonistin einige Seiten später verschwinden wird, ahnt man als Leser dort noch nicht.
Zunächst erfahren wir, dass sie eine recht anerkannte Malerin ist, die in Paris Kunst studiert hat. Sie kehrt zurück in das kleine Städtchen B. am Fuße der Karpaten, wo sie in ihrer Kindheit oft Zeit im Kreis ihrer Familie verbracht hat. Die alte Villa, in der sie unterkommt, gehörte einst ihrer Großtante Margot, und war zur Zeit, in der der Diktator Nicolae Ceaușescu Staatspräsident war, ein Ort des kleinen Widerstands. Hier hat sich die Familie in den Sommertagen häufig versammelt. Im intimsten Kreis hat man sich über den Kommunismus mitsamt des ideologischen Kitsches lustig gemacht.
Bis in die neokapitalistische Gegenwart
Handlungsgegenwart des Romans ist nun allerdings das Jahr 2004, und der Witz scheint verschwunden. Recht ernsthaft geht die Erzählerin in ihrer Gegenwartsanalyse vor, setzt politische Ereignisse neben schauderhafte Mythen und Erzählungen. So überschneiden sich etwa die Legende um Vlad Tepes - auch "Vlad der Pfähler" genannt und historisches Vorbild für Bram Stokers Dracula-Figur - mit den Erinnerungen an die Ceausescus-Diktaur. Auch der Staatspräsident hatte sein Volk ausgesaugt, auch er nährte sich von den Menschen. Dana Grigorcea schlägt den Bogen bis in die neokapitalistische Gegenwart, wenn sie von einem Dracula-Erlebnispark schreibt, der in B. errichtet werden soll, um Touristen anzulocken. So werden selbst noch die Legenden bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt, die Gräueltaten der Toten steig neu zum Leben erweckt. Die schrecklichsten Taten, die unzählige Todesopfer mit sich brachten, sind untot.
Die Frage nach der Darstellbarkeit?
"Die nicht sterben"; das sind also einerseits jene, die im Volksmund weitergetragen und systemisch ausgeschlachtet werden. Anderseits aber auch jene, die sich - in ihrer furchtbar blutrünstigen Art und Weise - jedem beliebigen System anzupassen wissen, wandelbar und flexibel wie der Kapitalismus selbst. Repräsentatives Beispiels dafür ist der Bürgermeister der Kleinstadt B. Er kommt im Jahre 2004 genauso gut zurecht, wie damals zur Diktatur. Die Ich-Erzählerin selbst hat da ihre Schwierigkeiten. Wir erfahren, dass Vlad III. einer ihrer Vorfahren ist und somit das Blut des rumänischen Nationalhelden, der all jene hat aufspießen lassen, die ihm misstrauten oder missfielen, auch in ihren Adern fließt.
Entsprechend vampiresk geht es dann auch zu in diesem Roman. Das Spiegelbild der Malerin und Chronistin ist bald schon nicht mehr zu erkennen. Und exakt in diesem Changieren zwischen dem Erschaffen eines Bildinhaltes und dem Verschwinden der eigenen Person ist die zentrale Frage dieses Romans zu verorten. Es ist die Frage nach den Möglichkeiten der Darstellung. Während die Erzählerin dokumentarische, fiktionale und gesellschaftsanalytische Elemente verknüpft, verwandelt sie sich selbst, wird zu ihrem eigenen Stoff, verschwindet hinter der Verdichtung. Damit ist Dana Grigorcea Schreiben auch immer ein Schreiben über den Verlust und den Gewinn der künstlerischen Tätigkeit selbst.
Dana Grigorcea: „Die nicht sterben“; Penguin Verlag, 2021, 264 Seiten, 22 Euro