2016 verstarb der Schriftsteller und Fernsehmoderator Roger Willemsen. Er galt nicht nur als Deutschlands Vorzeigeintellektueller - eine Beschreibung, die ihn zutiefst zuwider war - sondern auch als engagierter Menschenfreund und kritischer Fragesteller. Willemsen war Schirmherr des afghanischen Frauenvereins, spendete für über hundert Trinkwasserbrunnen und setzte sich für die Gründung von Mädchenschulen in Afghanistan ein. Viele seiner Begegnungen beschrieb er in seinem 2006 erschienen Buch "Afghanische Reise". Willemsens feinfühlige Beobachtungen haben weder an Aktualität noch an Notwendigkeit verloren.
Kaum jemand fehlt uns heute so sehr wie er. Roger Willemsen war ein Weltenbummler mit wachem Geister, ein streitbarer Intellektueller und Autor diverser Bücher, die heute als "Hochkaräter" zählen. Sein politisches Engagement erwuchs stets aus dem Glauben an die Menschlichkeit und Solidarität; seine Positionen waren häufig die der Minderheit, seine Stimme stellvertretend für jene, die selbst nicht öffentlichkeitswirksam zu Wort kommen können. Er reiste bis an die Enden der Welt, saß ein Jahr auf der Zuschauerbank im Bundestag, berichtete von plötzlichen Umbrüchen im Leben und plädierte für die große Bedeutung kleiner Momente.
Willemsens Bücher - wir haben dies an anderer Stelle bereits hervorgehoben - haben nichts an Aktualität verloren. Sie alle sind von zeitlosen Zuständen durchdrungen, erzählen vom Klagen, Wundern, Bedauern und Begeistern. Einige von ihnen jedoch, stechen auf Grund der Tagesaktuellen Lage besonders hervor. So das Buch "Afghanische Reise" in diesen Tagen.
Roger Willemsen: "Afghanische Reise"
Willemsen versammelt in diesem Buch Eindrücke und Geschichten, die in Medienberichten, damals wie heute, keinen Platz finden. Es sind dies menschliche Geschichten, in denen sich der Alltag von Frontsoldaten, Nomaden, Drogenschmuggler und Weise spiegelt. Willemsen spricht mit ehemaligen Mudschaheddin, mit Taliban-Funktionären, Menschenrechtlerinnen und Häftlingen. Er erschafft ein eindrucksvolles Panorama, welches die sich durch die Geschichte des Landes ziehenden Risse ebenso zeigt, wie die Spuren, die sie im Leben der Bewohnerinnen hinterlassen haben.
An der Seite einer afghanische Freundin - die nach 25 Jahren Kriegsgeschichte in ihre Heimat zurückkehrt - erblickt er ein erwachendes Land und begibt sich auf eine zuweilen nicht ungefährlichen Reise. Ja, auch das Reisen selbst wird mit diesem Buch gepriesen. Das Reisen, welches in sich selbst schon seinen Sinn findet und dessen Zweck nicht darin besteht, zu sehen oder gesehen zu haben.
Willemsen zeigt uns Afghanistan als ein Land; nicht als ein Gegenstand deutscher Berichterstattung. Er zeigt uns die Menschen vor Ort als Menschen mit Geschichten, nicht als Körper, die mit unseren Blicken und politischen Narrativen gefüllt werden können oder müssen. Er zeigt Kummer und Witz, Ärgernissen und Lebensgeist. Vor allem aber zeigt sich Roger Willemsen, wie in allen seinen Büchern, in erster Linie als Mensch.
Roger Willemsen: "Afghanische Reise"; S. Fischer Verlag, 2006, 224 Seiten, 11 Euro