Der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler glaubt einen sogenannten "Neuen Midcult" in der Gegenwartsliteratur erkannt zu haben. Mittelmaß und Moralität statt Aufbegehren und Aufbruch; Wohlfühllektüre statt fordernder Selbstbefragung. Was hat es mit diesem Begriff "Midcult" auf sich? Und wie einseitig ist eine Lektüre, die im Twitter-Trent stehende Themen verarbeitet?
In seinem mit "Der Neue Midcult" überschriebenen Aufsatz der Frühlingsausgabe des Magazins Pop. Kultur und Kritik beklagt der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler, dass viele erfolgreiche Bücher der Gegenwart nur noch affirmativ zu lesen sind. Die literarisch-ästhetische Form, so Baßler, weiche der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Problemen wie Misogynie, Rassismus, Kapitalismus oder Flucht. Daraus leite sich eine bestimmte Literatur für bestimmte Interessengemeinschaften ab, die lediglich aus dem Wunsch nach Bejahung und Zustimmung heraus geschrieben und exakt so bejahend und zustimmend gelesen wird. Ein Sich-gegenseitig-auf-die-Schultern-klopfen im Schlaglicht politischer Schein-Debatten. Denn wo ausschließlich Bejaht wird, verfremdet der für ein ausgiebiges Debattieren so wichtige Widerspruch.
Lieblinge der Kulturindustrie?
Man schreibt also nicht mehr um die eigenen, bisher vielleicht unbewusst vorherrschenden Probleme zu erforschen und ans Tageslicht zu hieven, sondern stellt bereits vorhandene in das Licht anderer, die dann kaufen und applaudieren. Man schreibt "Wohlfühltexte", die weder avantgardistisch noch schwierig zu lesen sind, aber dennoch einen gewissen Qualitätsanspruch aufweisen können. In etwa so umschrieb der amerikanische Schriftsteller und Kritiker Dwight Macdonald den Begriff "Midcult" in seinem 1962 erschienen Essay "Against The American Grain" . Eine Literatur ganz im Sinne der Kulturindustrie, die nichts mehr aufbricht sondern ein und dasselbe in tausend winzig voneinander abweichenden Varianten wiederholt, und somit den unermüdlichen Produktionsprozess spiegelt.
Viele Werke jüngerer AutorInnen würden in dieses Bild fallen. Aus Twitter-Debatten werden Bücher gemacht, die in ihrer Machart jedoch nicht über den oft nur allzu binären Charakter sozialer Netzwerke hinausgehen. Ablehnen oder zustimmen. Die Grenzen sind klar gezogen. Die ästhetischen Werkzeuge, die mit der Wahl der literarischen Form an die Hand gegeben werden, werden selten zur facettenreich genutzt.
Der Neue Midcult
Was aber meint Baßler nun genau, wenn er von einem "Neuen Midcult"spricht? Charakteristisch hierfür ist, dass die seichte Konsumtion und Produktion mit - nun ja - en voguen Weltanschauungen und moralisch-ethischen Überzeugungen einhergeht, die mittels Verweis auf die Biografie und Identität der AutorInnen zementiert werden. Auch im "Neuen Midcult" ist es die beruhigende und möglichst einfache Selbstbestätigung, die sich in den Vordergrund drängt.
Nach wie vor spiegelt sich in dieser Sehnsucht nach Einfachheit das unausgesetzte Rumoren gesellschaftlicher Produktionsprozesse. Schließlich müssen wir - insbesondere die Jüngeren unter uns - täglich bedeuten, berühren und berühren lassen, Gefühle und Regungen und Reize überprüfen, moralisch-ethische Entscheidungen abwägen und treffen, und das ohne Unterlass und - durch Social media - in einem extrem viel höheren Maße als es AutorInnen noch vor 20 Jahren tun mussten beziehungsweise konnten. Als letzter Ort der heiligen Ruhe bleibt der Konsum. Hier warten endlich das einfach "Ja", als Dank der ständigen Anstrengungen.
Kitsch
Dieses einfache "Ja" aber , ist für Moritz Baßler purer Kitsch: "Dieser Kitsch entsteht, wenn immer schon vorausgesetzt und der Zielgruppe klar ist, was relevant und richtig ist; wenn die entsprechende Arbeit nicht geleistet wird, eine Arbeit an Form und Kontext."
Insbesondere für selbstkritische Widersprüche und Verkehrungen bleibt dabei wenig Platz. Komplexe Umstände werde auf binäre Anordnungen reduziert: gut und böse, schwarz und weiß, über- und unterprivilegiert. Baßler in einem Interview mit DerStandart: "Das Problem dieser Verfahren ist, dass sie strukturelle Probleme erzähltechnisch auf gute und schlechte Menschen reduzieren. Ambivalenz verschwindet hinter falschem Humanismus. Oder wenn ich Diskriminierung als Sinn nehme und sage, der Text ist jetzt schwer, dann bediene ich das Grundmuster des Midcult."
Gegenwartsästhetik
Ausformulierter als in seinem Aufsatz erscheinen Baßlers Anregungen und Kritiken in dem Buch GEGENWARTSÄSTHETIK, welches er gemeinsam mit Heinz Drügh veröffentlicht hat. Darin geht es grundlegend um die Frage nach der ästhetischen Beurteilung angesichts gegenwartskultureller Phänomene. Auch die Digitalisierung und Soziale Netzwerke spielen dabei eine wichtige Rolle.