Martin Hecht: "Die Einsamkeit des modernen Menschen" Wann bedroht Freiheit Demokratie?

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Unsere Freiheit, so argumentiert Martin Hecht in seinem aktuellen Buch, führt direkt in die Vereinzelung und demnach in die Einsamkeit. Foto: Dietz Verlag

In seinem aktuellen Buch "Die Einsamkeit des modernen Menschen" beschreibt der Politologe Martin Hecht, wie der Individualismus eines "radikalen Ichs" in Selbstbezogenheit umschlägt. Der freie moderne Mensch ist für ihn zugleich der einsame. Das birgt Gefahren für die Demokratie ...

Frei aber einsam - so sieht der Publizist Martin Hecht das moderne Individuum in der westlichen privilegierten Welt. Lobpreisungen und Bestätigungen drohen zum bloßen Kalkül zu werden, denn wo sich jeder Einzelne nach Zuspruch sehnt, wird ihn niemand von sich aus geben, ohne einen Preis dafür zu verlangen. So gelangen wir in einen Circulus virtuoses; wir hoffen auf Bestätigung, um uns ausgerechnet über den Zuspruch von außen noch stärker zu vereinzeln.

Moderner Individualismus und Einsamkeit

Im Mittelpunkt dieses Vereinsamungsbegriffes steht der Individualismus. Personalisierte Daten, zugeschnittene Werbung, Twitter-Blasen und vieles mehr, betten das Individuum weich und sicher. Doch der Preis für diese vollkommende Abgeschiedenheit ist ein hoher. Am Ende steht eine Einsamkeit, die, so Hecht, keineswegs nur die "individuelle Begleiterscheinung einer unglücklichen Biografie ..." ist. Vielmehr entspringt diese Einsamkeit einer gesellschaftlichen Dynamik. Sie scheint "... eine Art soziales Virus, das kollektiv über die gesamte Gesellschaft gekommen ist, seit diese in jenes Stadium eingetreten ist, das geprägt ist vom modernen Individualismus."

Hecht zeigt in der Tat eine fatale Entwicklung auf. Jahrhunderte lang ließen Menschen ihr Leben im Kampf um eine Freiheit, die nun ausgerechnet der Grundbaustein der Selbstbezogenheit ist. Ausgerechnet die blutig erkämpfte Freiheit ist es, die uns heute voneinander trennt; die uns spaltet, indem wir uns - mit dem Instrumentarium der Massenindividualität - selbst fein säuberlich voneinander abgrenzen. So verblüffend wie folgerichtig ist dann auch Hechts Argument, dass gerade der gemeinsame Kampf für die Freiheit gemeinschaftsbildend und stärkend war, während sich das Leben auf dem Grund dieser erkämpften Freiheit ins exakte Gegenteil, nämlich in Abschottung und demnach Vereinsamung umschlägt:

"Auf die kürzeste Formel gebracht: So wie die Freiheit in der Gesellschaft mit einer gewissen Kälte erkauft wird, war zuvor die Unfreiheit der Preis für die Wärme in der Gemeinschaft.“

Soziale Netzwerke als Vereinzelungsmaschinen

Ein gemeinsames Ziel, das ist bekannt, stärkt den Gemeinschaftssinn einer Gruppe, ist vielleicht das gruppenbildende Element überhaupt. Wenn es nun aber Millionen einzelne, selbstbezogene Ziele gibt, fällt diese Dynamik aus. Aus diskursfähigen und vielleicht in sich widersprüchlichen Gruppen werden dann homogene Blasen, wie man sie aus den Sozialen Netzwerken, allen voran Twitter kennt, die wie eine Bestätigungsmaschinerie funktionieren, vor der sich Millionen von User wechselseitig auf die Schultern klopfen.

So beschreibt Hecht die Sozialen Netzwerke als Vereinzelungs- und Vereinsamungsmaschinen schlechthin. Generell lehnt er das Internet als Ort der Selbstoptimierung und falschen Identität in Bausch und Boden ab. Aus seiner Position heraus ist das durchaus verständlich. Denn dort, wo ein Selbst konzipiert und systematisch hergestellt werden kann, verkümmert das Selbst der herstellenden Person zunehmend. Ungeachtet der Tatsache, dass ein konzipiertes Selbst schlecht aufbegehren oder für eine dem Individuum selbst existenziell wichtige Angelegenheit brennen kann.

Individualismus und Kapitalismus

Der von Hecht beschriebene vereinsamende Individualismus ist in seiner Form selbstverständlich nicht von kapitalistischen Interessen zu trennen. Schließlich wird aus dem Individualitätsverlangen selbst mithilfe von personenbezogener Daten ein Millionengeschäft gemacht. Kaufverhalten wird verkauft, Vorlieben und Wünsche monetarisiert, bevor die Wünschenden sich ihrer Wünsche selbst bewusst waren, und vieles mehr. Hecht sieht die Vereinsamung als klare Folge des globalen Kapitalismus, der selbstbestimmte Menschen zu Wahlautomaten gemacht hat. In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur äußerte sich Hecht wie folgt zu diesem Zusammenhang:

"Als Einzelkämpfer in dieser großen Marktwirtschaft werden wir einsam dabei. Das ist die Erklärung, warum der Kapitalismus, der als Wirtschaftssystem nicht auf Kooperation abzielt, sondern auf den Erfolg des Einzelnen im Wettbewerb mit anderen, das ist eine relativ einfache Gedankenfigur, warum so ein System notgedrungen zu Einsamkeitsgefühlen führen muss."

Trotz all dieser gegenwärtigen Entwicklungen, sieht Hecht optimistisch in die Zukunft. Die Menschen, so glaubt er, werden sich wieder stärker an den Kern des Menschseins erinnern, werden die aufgesetzten und gehetzten Züge des überindividuellen abwerfen, und sich auf gemeinschaftliche Projekte, auf die Gemeinsamkeit selbst beziehen. Wünschenswert wäre das in jedem Fall. Zu tun gibt es schließlich genug.


Martin Hecht, "Die Einsamkeit des modernen Menschen. Wie das radikale Ich unsere Demokratie bedroht"; Dietz Verlag, 2021, 203 Seiten, 18 Euro


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