Benjamin Fredrich: „Die Redaktion“ Is mir scheißegal, wir machen das ...

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Der "Katapult"-Magazin-Gründer Benjamin Fredrich veröffentliche sein Buch "Die Redaktion" beim ebenfalls selbst gegründeten "KATAPULT-Verlag". Er zeigt sich darin als selbstbewusster und rigoroser Macher. Foto: KATAPULT-Verlag

Das Greifswalder Katapult-Magazin legte im Laufe der letzten Jahre einen fulminanten Aufstieg hin. Die Redaktion sorgte unter anderem mit Printausgaben für Furore, in denen statt Fotos "geografisch-soziologische Karten" die Artikel schmückten. Das erste "Kartenbuch" der Katapult-Redaktion erschien im Frühjahr 2019 bei dem Verlag Hoffmann & Campe. Im vergangenen Jahr gründete das Magazin einen eigenen Verlag. Das erste dort erschienene Buch trägt den Titel "Die Redaktion" und stammt aus der Feder des Magazin-Gründers Benjamin Fredrich. Was hier aber Roman genannt wird, ist in weiten Teilen nichts anderes als Text gewordene Selbstbeweihräucherung.

Das "Katapult"-Magazin steht für Aufbruch, Veränderung, Disruption; für Perspektivenwechsel und kritischen Journalismus. Beseelt von einem Silikon-Valley ähnlichen Macher-Geist, versucht "Katapult" ein Sandkorn im kapitalistischen Getriebe zu sein; also jene Maschine von innen heraus zu (zer)stören, die das Magazin überhaupt erst hat entstehen lassen. Ein Märtyrer-Projekt, welches schnell auf enorm viel Resonanz stieß. Innerhalb kürzester Zeit bildete sich eine stetig wachsende Leserschaft rund ums Magazin, ein begeistertes Publikum, welches, verblüfft von der Elon Muskschen Loslegen-Philosophie, die globale Ungerechtigkeit mit Klicks und Abonnements zu bekämpfen versucht. Schrittweise. Vehement. Unverblümt und offensiv.

Ungerechtigkeit verständlich und nachvollziehbar

Aufsehen erregte die "Katapult"-Redaktion mit der Idee, Artikel mit Infografiken und geografisch-soziologischen Karten zu veranschaulichen. Ein aus Geldnot geborener Einfall. Man konnte sich schlicht keine Fotos leisten. Die kartografische Darstellung gesellschaftlicher Ungerechtigkeit aber, schien Leserinnen und Leser ungemein zu begeistern. Nachvollziehbar. In einer permanent von Bildern und Informationen überfluteten Welt, in der man nicht nur ununterbrochen von Leidensgeschichten umgeben, sondern darüber hinaus auch in einer gewissen moralischen Verpflichtung zu stehen scheint, sich für diese tatsächlich zu interessieren, mitzuleiden, kommt eine solche Zusammenfassung wie gelegen. So gelegen sogar, dass "Katapult" im Frühjahr 2019 dann das Buch "100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern" bei dem Verlag Hoffman & Campe veröffentlichte.

Mittlerweile hat sich die "Katapult"-Redaktion vom Verlag abgewandt, und einen eigenen, den "KATAPULT"-Verlag, gegründet. Das erste beim dort erschienene Buch wird Roman genannt und ist mit "Die Redaktion" betitelt. Darin erzählt "Katapult"-Gründer Benjamin Fredrich die Erfolgsgeschichte Benjamin Fredrichs, die Geschichte der bereits erwähnten kompromisslose Macher-Natur also, die ihre Ideen gegen jedwede Widerstände durchsetzt.

Schwachmaten und Ficker!

Da gibt es etwa eine Szene, in der Fredrich auf Sophie trifft. Er erklärt ihr, dass einige Leute abgesprungen und also aus dem Magazin-Projekt ausgestiegen sind. Fredrich tobt: "Wir ziehen das durch – zu zweit oder zu hundert, ist mir so dermaßen scheißegal, wie viele mitmachen! Also wirklich scheißegal!" Man kann sich den Elon Musk-Vergleich einfach nicht verkneifen, der mit Sätzen zitiert wird wie: "Es ist okay, wenn Du all Deine Eier in einem Korb hast, so lange du kontrollierst, was mit dem Korb passiert." Wieder Fredrich: "Auf jeden Fall wird das jetzt gemacht. Auch wenn die ganzen Ficker alle nicht können wollen, das ist jetzt das Wichtigste: machen!" Und wieder Musk: "Wenn etwas wichtig genug ist, setzt Du es selbst dann um, wenn die Chancen nicht zu Deinen Gunsten stehen."

Was in Fredrichs Roman leider auf keiner Seite vorkommt, ist ausgerechnet das, was als Element systemkritischer Bemühungen - und Systemkritik unterstelle ich dem Gründer des "Katapult"-Magazins an dieser Stelle einfach mal - unabdingbar geworden ist: Die kritische Betrachtung der eigenen Position und Funktion innerhalb der Logik des kritisierten Systems. Es gilt genau hinzuschauen, will man erkennen, wann aus einem Aufschrei ein Anfeuern wird. Denn so wie es zur literarischen Tradition gehört, das literarische Establishment zu kritisieren, gehört es zum kapitalistischen System, systemkritische Tendenzen zu verschlingen. Benjamin Fredrich aber, scheint hier nur auf sich selbst zu schauen.

Ein überflüssiges Schauspiel?

Natürlich spielt sich Fredrich in "Die Redaktion" selbst. Und natürlich könnte er am Ende überraschend und wider Erwarten aus der Torte springen und behaupten, er habe lediglich eine Figur vorführen wollen, die man im Kampf um eine bessere Welt (was auch immer das heißen mag) so überhaupt nicht gebrauchen kann. Er könnte noch treffender sagen: Er habe nur die Charakteristika eines Übergangstypus aufzeigen wollen. Doch selbst diese ironische Überspitzung ist längst kontraproduktiv geworden. Immer wieder möchte man aufschreien: Wir haben es doch alle verstanden um Gottes willen! Es gibt doch überhaupt gar kein Verständigungsproblem! Und außerdem ist es bisher noch niemanden gelungen, bestehende Probleme mit dem Aufzeigen neuer zu lösen. Eben dieses Aufzeigen-Wollen aber, ist konstitutiv für Fredrichs Buch. Gäbe es da nicht den stählernen Willen, Probleme anzusprechen und öffentlich zu machen, wäre "Die Redaktion" nicht entstanden.

Passagenweise schreibt Fredrich in einer großmäuligen Anarcho-Sprache, aus der, irgendwie, Sätzen gebildet wurden, bei deren Lektüre man sich immer wieder fragen muss, warum der Autor sie nicht einfach geschrien hat. Neu ist das nicht, nur ein etwas einfallsloser und grober Wiederhall grandios aufmüpfiger Werke. Man denke nur an Peter Handkes "Publikumsbeschimpfungen" oder an Rainald Götz während der Bachmann-Preis Lesung. Man denke an Didier Eribons "Rückkehr nach Reims" oder an die Romane des französischen Schriftstellers Eduard Louis. So grandios kann Wut, Entrüstung und Trauer in Literatur übersetzt werden.

Letztlich ist es mit "Die Redaktion" ein bisschen so, wie es Jean Paul Sartre an einer Stelle in seinem Roman "Der Ekel" beschrieben hat. Dort wird der sogenannte "Autodidakt" als eine Person vorgestellt, die den gesamten Bibliotheksbestand, alphabetisch von A bis Z, durchliest. Als der Held Antoine Roquentin diese Verfahrensweise erkennt, stellt er fest: Irgendwann wird er beim letzten Buch des letzten Buchstabens angekommen sein, wird dieses zuschlagen und sich fragen: Und jetzt?


Benjamin Fredrich, "Die Redaktion", KATAPULT-Verlag, 2020, 248 Seiten, 18 Euro



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