Misha Sommer hat ein äußerst unkonventionelles Buch geschrieben, nämlich "das abgefahrenste Philosophiebuch der Welt". Der Buchtitel ist Programm. Er ist bewusst salopp gewählt und schreckt auch nicht vor einem kühnen Superlativ zurück. Denn die Autorin ist sich sehr wohl bewusst, dass sie nicht zum erlauchten Zirkel der studierten Philosophen gehört. Dafür besitzt sie den Blick einer Ökonomin und ein Denken außerhalb ausgetretener Pfade. Der ironische Buchtitel steht im Kontrast zum anspruchsvollen und wissenschaftlichen Inhalt. Das Buch verlangt dem Leser einiges ab, belohnt ihn aber dafür mit originellen Gedankengängen. Diese werden im Buch Schritt für Schritt hergeleitet.
Das Undenkbare denken. Wie geht das? Warum kann Kunst schlimme Dinge verhindern? Was gibt den Larvaceen im Ozean die Macht, um die Quantenphysik voranzubringen? Warum können ausgerechnet gewisse Verschwörungstheoretiker die Welt retten? Und wie sollen Memes der Menschheit helfen, sich vom Universum zu emanzipieren?
Im Buch geht es um unser Weltbild im buchstäblichen und metaphorischen Sinne. Diese Überlegungen stellen den Ausgangspunkt für die Buchidee dar. Viele Jahre zuvor hatte Sommer im Tagebuch 1946-1949 von Max Frisch einen Satz gelesen, der sie irritierte und verfolgte. Dieser Satz wiederum ließ sie, kurz gesagt, daran zweifeln, dass der moderne Mensch einen echten Bezug zum Weltall herstellt. Denn das Wissen um den Kosmos ist zwar heutzutage sehr vielen Menschen zugänglich, geradezu inflationär, aber dadurch wird es auch entwertet und trivialisiert. Wir leben auf einem Planeten. Man kennt es. Das Buch bietet nun ein theoretisches Modell an, welches Sommers These begründet. Hierbei macht die Autorin verschiedene Faktoren ausfindig, welche möglicherweise unser Unvermögen fördern, die Erde als Planeten wirklich wahrzunehmen.
Bestehende ökonomische und soziokulturelle Theorien sind hierbei ebenso gefragt wie der Neckarwürfel und das Frame-Prinzip. Ein gedankliches Konzept, welches zudem besonders heraussticht, ist das Prinzip der Memes. Dieses vor rund hundert Jahren entdeckte Phänomen wird heute zwar oft auf witzige Internet-Aussagen reduziert, ist aber viel mehr als das. Selbst Misha Sommer war überrascht über das Ausmaß, in dem Memes auf unser Leben einen Einfluss nehmen und wie gut sie zu den Thesen ihres Buches passen.
Die Thematik rund um den Kosmos ist im Übrigen kein Selbstzweck. Vielmehr stellt das Buch diesen Aspekt in einen Zusammenhang mit anderen Themen, die für uns weitaus greifbarer und handfester sind. Denn es zeigt, inwiefern dies alles für die Menschheit lohnend sein kann. Neben den theoretischen Ausführungen bietet das Buch viele Überlegungen, die man als originell, gar visionär bezeichnen könnte. So zeigt die Autorin, die zuvor bereits einen Roman verfasst hat, auf, warum Kunst im Grunde als pure Effizienz verstanden werden kann. Im Zusammenhang damit steht die Frage, wie sich dank Memes destruktive, schlimme Dinge verhindern lassen können und inwiefern sie uns bis zu den Sternen – oder gar darüber hinaus – befördern können.
Ein Gedankenexperiment zeigt die Möglichkeiten auf. Letztlich bietet das Buch konkrete Ideen an, wie die Menschheit sich künftig entwickeln könnte. Es geht um nicht weniger als das "Big Picture", welches verschiedene Wissenschaften vereint und eine 2. Epoche der Aufklärung fordert. Ein Buch für alle Menschen, die sich gerne herausfordern lassen. Und wenn wir schon bei den Superlativen sind: Genau genommen, ist es ein Buch für die ganze Menschheit.
Das abgefahrenste Philosophiebuch der Welt: Warum wir eine 2. Epoche der Aufklärung benötigen von Misha Sommer, 296 Seiten, 48,31 Euro, ISBN: 9783033084940, E-Book: ASIN B092H54QXF 2,69 Euro, E-Book: ISBN 9783033084926