Vor wenigen Tagen erschien beim Rowohlt Verlag die Übersetzung des posthum veröffentlichten Briefwechsels zwischen dem Schriftsteller Albert Camus und der Schauspielerin Maria Casarès. "Schreib ohne Furcht und viel", so der Titel des umfangreichen Buch, das den großen Philosophen des Absurden verletzlich, liebesbedürftig und eifersüchtig zeigt. Zuweilen schwankt er sogar am Rande des Wahnsinns.
Auch wenn der Name Maria Casarès in keiner der großen Camus-Biografien fehlt, wird erst mit diesem mehr als 1500 Seiten umfassenden Briefwechsel deutlich, wie leidenschaftlich diese Liebesgeschichte tatsächlich war. Im Frühjahr 1944 lernten sich die beiden während der Aufführung eines Theaterstückes von Pablo Picasso kennen; wenig später wird der damals erst 21-jährigen Casarès eine Rolle in Camus neuem Stück "Le Malentendu" anvertraut. Während der Proben, wird aus den Beiden ein Liebespaar.
Erschrocken und fasziniert
Das sich anbahnende Verhältnis zwischen Albert und Maria bleibt alles andere als unbemerkt. Besonders in den intellektuellen Kreisen des Paris der 40er und 50er Jahre wussten nahezu alle, Camus Ehefrau nicht ausgenommen, von der Liaison. Diese jedoch verlief nicht stringent. Im November 1944 bricht Maria Casarès mit dem gefeierten Autor, der zu dieser Zeit bereits an seinem zweiten Roman La Peste arbeitete. Vier Jahre später treffen die beiden wieder aufeinander. Camus hat seinen Roman gerade abgeschlossen, Casarès ist zum Stern am Pariser Theaterhimmel avanciert. Der Zufall des Wiedersehens - sie begegneten sich auf dem Boulevard Saint-Germain - trifft beide gleichermaßen; und was erstickt wurde entflammt erneut.
Wie gewaltig dieses Aufeinandertreffen für beide Seiten gewesen sein muss, können die Briefe nur im Nachklang erahnen lassen. Ausbrüche, Eifersucht, Bekenntnisse. Man liest die Entschuldigen Casarès, die ihre temperamentvollen Ausbrüche und Beschimpfungen bereut. Camus, der ebenso wenig seine Familie verlassen wie auf Maria verzichten kann, erinnert sich noch lang an dieses verschlossene Gesicht, erschrocken und fasziniert zugleich. Der Autor, der mit seinem Roman "Der Fremde" wenige Jahre zuvor seine Philosophie des Absurden literarisch untermauerte, der stets die Einfachheit hoch hält und von prunkvoller Armut spricht, kann sich diesem Gesicht nicht entziehen.
Lyrische Passagen
Die Briefwechsel bilden jene Zeiten ab, in denen Casarès und Camus voneinander getrennt waren. Dies kam nicht selten vor, denn aufgrund seiner Tuberkulose musste Camus immer wieder in die Berge fahren. Abgesehen davon, reiste er häufig. Als er 1949 für zwei Monate nach Südamerika fuhr, trieb ihn bereits die Vorstellung, womöglich wochenlang keinen Briefkontakt mit seiner Geliebten zu haben, in eine schwere Depression. Die Befürchtungen sollten sich im Nachhinein zwar nicht bewahrheiten, dennoch zeigen solche Passagen ausdrücklich, wie besessen Camus zum Teil von Casarès war.
Wir lernen hier also einen liebesbedürftigen zweifelnden und durchaus auch verzweifelnden Alber Camus kennen, der in dieser seiner Leidenschaft auch zu lyrischen Beschreibungen neigt. Eine Gattung, die passagenweise vor allem in seinen Essays und Tagebüchern immer wieder anzutreffenden ist, als alleinstehende in seinem Gesamtwerk allerdings fehlt. Hier spart der Autor nicht mit poetischen Umschreibungen. Casarès ist seine "Bebende, Brennende, Tragische, Sanfte"; ist sein "Feuer" und seine "Seele" oder sein "stolzer Schatz". Fest steht, dass dem großen intellektuellen Vorzeigepaar des 20. Jahrhunderts, Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir, spätestens mit diesem Buch ein zweites an die Seite gestellt werden muss.
Albert Camus, Maria Casarès, "Schreib ohne Furcht und viel"; Rowohlt Verlag 2021, 1568 Seiten, 50 Euro