Malte Herwig - "Der große Kalanag" Magie im Dritten Reich

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Helmut Schreiber, alias Kalanag, machte nach dem Zweiten Weltkrieg in der jungen Bundesrepublik Karriere. Doch auch Hitler erfreute sich bereits an Schreibers Zaubertricks. Cover: Penguin Verlag

In seinem romanhaft anmutenden Sachbuch „Der große Kalanag: Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte“ erzählt Malte Herwig die Aufstiegsgeschichte eines Zauberkünstlers zur Zeit des Nationalsozialismus. Es ist die Geschichte Helmut Schreibers, der mit seinen Tricks die Nazi-Eliten begeisterte, und anschließend seine Vergangenheit verschwinden ließ.

Helmut Schreiber war skrupellos, verschlagen und erfolgreich. Unter den Nationalsozialisten war er bekannt als der Mann mit den "wieselflinken Händen". Seine Karriere begann vor einem Spiegel, etwa zwei Jahrzehnte später trat er vor Hitler auf. Sein wohl größter Zaubertrick aber bestand darin, seine Nazivergangenheit nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs verschwinden zu lassen. Vom fulminanten Aufstieg des Zauberkünstlers und Filmproduzenten erzählt das Sachbuch "Der große Kalnag" von Malte Herwig. In zum Teil äußerst romanhaften Passagen umschreibt Herwig darin die Geschichte eines Mannes, der sich, von Ehrgeiz und Machtwillen getrieben, in die Herzen der NS-Eliten zauberte.

Zeugenaussagen und Dokumente

Grundlage des Buches sind, wie Herwig betont, "Zeugenaussagen und Dokumente", Zeitzeugnisse also, aus denen er eine umstrittene und zugleich beeindruckende Figur schuf, eine Figur, dessen "... Talent als Zauberkünstler ... nur noch von dem als Selbstdarsteller übertroffen“ wurde. Schon als Kind wusste Helmut Schreiber, dass er Magier werden wollte. Im Alter von 13 Jahren trat er zum ersten Mal vor einem Publikum auf. Den Titelgebende Namen "Kala Nag" (der aus dem Dschungelbuch stammt und grob übersetzt schwarze Schlange bedeutet) sollte erst nach 1945 zu seinem Markennamen werden. Erstmals so angekündigt wurde er auf einem Plakat im Jahre 1919. "Kala Nag, der große Zauberer", sollte in einem Lazarett auftreten. Als Schreiber einen Feldwebel vor Ort bezüglich der Ankündigung zur Rede stellte, sagte dieser knapp: "Wie sie heißen, bestimmen wird."

„Die Zauberkunst brachte er sich selbst bei, übte Stunde um Stunde vor dem Spiegel und war dabei strenger zu sich selbst als jeder andere es hätte sein können.“

Ehrgeizig, mutig, selbstbewusst, so erscheint uns der aufstrebende Künstler Schreiber in diesem Buch. Es dauerte nicht lang, und dieser Ehrgeiz trug Früchte. 1919 wurde Schreiber als jüngstes Mitglied in den sogenannten Magischen Zirkel aufgenommen, einer Vereinigung von Zauberkünstlern. Bereits Mitte der 20er Jahre galt er als einer der größten Zauberer im Reich. Gegen 1929 gab es dann schon niemanden mehr, "... der Schreiber offen Paroli bot, wenn er als allmächtiger Präsident des Magischen Zirkels Zauberkünstlern Auftrittserlaubnisse erteilte oder entzog, sie zur Truppenbetreuung an diese oder jene Front schickte und manchen sogar mit Ausschluss aus dem Magischen Zirkel drohte, was einem Berufsverbot im Deutschen Reich gleichkam.“

Dieser Aufstieg, so Herwig, sei ebenso unaufhaltsam wie steinig gewesen. Er zauberte vor Hitler, vor Albert Speer, Hermann Göring und Joseph Goebbels; war zu Gast auf dem Obersalzberg und per Du mit Hitlers Chefadjutanten Julius Schaub. Als er 1939 in die NSDAP eintrat, war er nicht darauf aus, Karriere in der Partei zu machen. Dafür sei er viel zu geschickt gewesen. Denn: " Wer konnte schon wissen, wann sich die Zeiten wieder ändern würden."

Das Verschwinden-Lassen der Vergangenheit

So sehr Schreiber im Glanze des Dritten Reiches schien, so schnell verflüchtigte er sich sich ab 1945. Im Grunde eine typisch Deutsche Biografie, nur das der Zauberkünstler raffinierter, durchdachter verschwand. Der Magier, der vor Hitler zauberte und im Magischen Zirkel mit strenger Hand auf kaltblütige und rücksichtslose Weise durchgriff, verwandelte sich nach Beendigung des NS-Regimes urplötzlich in einen tapferen Widerstandskämpfer, der alles tat, um anderen Verfolgten zu helfen. Und obwohl es Vorwürfe und Anschuldigungen gegen ihn gab, gelang es ihm doch, eine neue Karriere zu starten.

„Wie es Kalanag gelungen war, bereits zwei Jahre nach Kriegsende eine riesige Revue aus dem Boden zu stampfen, stellte seine Zeitgenossen vor ein Rätsel. Böse Zungen vermuteten, er habe sich die enormen Kosten der Show aus einem Nazi-Schatz finanziert, den er 1945 beiseite schaffte.“

Sein Revue habe in Bildern und Worten die Stunde Null verkörpert, den Weg nach vorn Richtung Zukunft, nur nicht zurückschauen. Und er hatte Erfolg. Mitte der 50er Jahre schon, ließen sich Prominente aus aller Welt von Kalanag verzaubern. 1963 starb der große Verwandlungskünstler dann an einem Herzinfakt. Privat habe Schreiber Herwig zufolge einen ausschweifenden Lebensstil gepflegt. "Ich weiß nicht, ob der Mann überhaupt jemanden lieben konnte", wird seine Sekretärin im Buch zitiert. "Auf Dauer sicher nicht."


Malte Herwig: „Der große Kalanag: Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte“; Penguin Verlag, 2021, 480 Seiten, 24,00 Euro

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