Buchrezension: "Die Würdigung des Bisons" Eine Cree-Legende erwacht zum Leben

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Ein Cree-Junge bekommt von seinem Großvater eine alte Legende seines Volkes erzählt. Foto: Claudia Diana Gerlach

Die Prärie erbebt unter dem Getrampel der Bisonherde, die auf den kleinen Jungen und seinen Großvater zugerast kommt. Die Beiden gehören zum Volk der kanadischen Plains Cree und anstatt sich schleunigst in Sicherheit zu bringen, stimmt der Großvater ein Lied aus alten Zeiten an, das von dem traditionellen Bund ihres Volkes mit dem Bison erzählt. In dem preisgekrönten Buch „Die Würdigung des Bisons“ geht es um die Legende eines großen indigenen Volkes, die von Ray Lavallee, einem Weisen der Cree, erzählt wird, und die nun der ganzen Welt präsentiert wird - eingebettet in eine kindgerecht erklärende Rahmenhandlung der Autorin Judith Silverthorne.

Im Buch tauchen bei einem Cree-Jungen, der gemeinsam mit seinem Großvater ein Museum besucht, viele Fragen auf, als er in einem Schaukasten zur Kultur seines Volkes einen Bison entdeckt. Das Kind wundert sich darüber, dass bei den Zeremonien ihres Volkes der Bisonschädel verehrt wird. Der Großvater versucht, seinem wissbegierigen Enkel die Bedeutung zu vermitteln, die diese nordamerikanischen Büffel einst für ihr Volk hatten. Dazu fährt er mit dem Enkelsohn hinaus aufs Land, bis an den Rand der Prärie. Und während der Angehörige der First Nations auf ein paar ferne schwarze Punkte deutet und sie seinem Enkel als Bisons vorstellt, beginnt er eine alte Sage von dem Bund ihrer Vorväter mit dem Bison zu erzählen, in einer historisch überlieferten Erzählweise.

Das Leben in alten Zeiten

Die Sage stammt aus vergangen Zeiten, in denen noch riesige Bisonherden durch die Prärie Nordamerikas zogen. Die damaligen Cree waren aus den Wäldern in die weiten Ebenen gezogen und versuchten, sich an die veränderte Lebenssituation anzupassen. Sie führten ein Nomadenleben, denn sie zogen mit ihren Tipis den Bisonherden hinterher, da diese Tiere für sie existentiell wichtig waren. Wie andere indigene Völker Nordamerikas jagten auch die Cree nur, was sie zum Überleben brauchten und nutzen ihre Beute auf jede mögliche Weise, um den Tiergeistern damit den größtmöglichen Respekt zu erweisen. Die Felle der Bisons wurden als Decken verwendet, die gegerbten Häute wurden für die Herstellung der Tipis benötigt und das Fleisch diente dem Überleben des Volkes.

Einklang mit der Natur

In der Rahmenhandlung weckt der Großvater mit dieser Erzählung das Verständnis des Enkels für den traditionellen Glauben der Cree und erinnert daran, dass beide Lebewesen – Mensch und Büffel- früher im Einklang mit der Natur lebten. Aus dieser gegenseitigen Wertschätzung heraus ist die Legende zu verstehen, in der sich das Bison selbst dem großen Schöpfergeist als Jagdobjekt darbietet und dafür den Respekt der Cree durch eine zeremonielle Verehrung seiner Tierart fordert. Die kanadische Autorin Judith Silverthorne lässt ihren jungen Protagonisten miterleben, wie lebendig und weiterhin gültig dieser Glaube der Cree noch in der heutigen Zeit ist, als er sich den anstürmenden Büffeln gegenüber sieht und sein Großvater einen Lobgesang anstimmt, der die Herde besänftigen soll.

Hommage an die Kultur der Cree

Das Buch ist eine eindrucksvolle Collage aus einer mündlich überlieferten Erzählung, stimmungsvollen Bildern und einer zeitgemäß erklärenden Geschichte. Es entsteht eine Hommage an die indigene Kultur der Cree, ein stimmungsvolles Kurz-Portrait einer Nation.

Etwas ganz Besonderes ist auch die Inszenierung des Textes, der nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Cree vorgestellt wird: Um dieses Werk angemessen in die Originalsprache zu re-transkribieren, haben sich drei kanadische Sprachwissenschaftler*innen gemeinsam engagiert. Damit erhält diese Sprache der First Nations, nach vielen Jahren der Repression seitens ehemaliger kanadischer Regierungen, durch dieses Buch ein wertvolles Stück ihrer eigenen Geschichte und Erzähltradition als Geschenk zurück – die kanadische Originalversion „Honouring the Buffalo“ erhielt in Nordamerika mehrere Buchpreise, die deutsche Ausgabe wurde 2020 mit dem KIMI-Siegel ausgezeichnet. Der Mons-Verlag stellt das Buch im Rahmen der #maplereads - Aktion auf der Frankfurter Buchmesse vor, bei der Kanada für die Jahre 2020 und 2021 der Ehrengast ist.

Eine herzergreifende Geschichte

Ich finde es schwierig, für dieses Kinderbuch eine Altersempfehlung zu geben: Es ist eine wunderbare, herzergreifende Geschichte und zugleich ein faszinierender Blick in eine fremde Kultur. Doch viele Kinder, vor allem in den Städten, haben oft keinen nahen Bezug mehr zu der Vielfalt der Natur und deren Tierwelt. Ein Verständnis dafür ist aber die Voraussetzung für das Verständnis dieser Geschichte. Deshalb möchte ich allen Eltern dieses Buch ans Herz legen – mit dem Hinweis, selbst zu entscheiden, wann ihr Kind reif ist für die Weisheit und Realität dieses Buches. Die Illustrationen und Fotos der indigenen Kulturgüter mitsamt den Erklärungen der Eltern gefallen sicher schon kleinen Kindern ab drei Jahren, das Buch als Ganzes wird dann für Fünfjährige interessant. Die Geschichte ist aber auch eine große Bereicherung für alle jugendlichen und erwachsenen Leser.

Der Erzähler

Raymond Lavallee lebte von 1941 bis 2016 und war ein „Wächter der Weisheit“ und Heiler aus dem Volk der Cree. Er handelte getreu den Traditionen seines Volkes und nutzte seine englischen und französischen Sprachkenntnisse, um bei Reisen in Nordamerika, Kuba, Deutschland und der Schweiz auf die Kultur der Cree aufmerksam zu machen und zugleich von anderen Völkern zu lernen.

Die Autorin

Judith Silverthorne ist eine kanadische Autorin, deren Werke mehrfach preisgekrönt und ausgezeichnet wurden. Sie verbrachte die meiste Zeit ihres Lebens in Saskatchewan, und erkundet die Kultur, Geschichte und Landschaft dieser kanadischen Provinz.

Der Illustrator

Mike Keepness, der die alte Welt der Cree im Buch durch seine ausdrucksstarken Bilder wieder zum Leben erweckt, wuchs im Pasqua-Reservat im Süden Saskatchewans auf. Der Künstler ist gern in der Natur seiner Heimat unterwegs, die für ihn eine Quelle der Inspiration darstellt.

Ray Lavallee, Judith Silverthorne, Mike Keepness: Die Würdigung des Bisons – Eine Legende der Plains Cree, erschienen 2019 im Mons-Verlag, Altersempfehlung: 5 bis 99 Jahre, 56 Seiten, 23,90 Euro (gebundenes Buch)

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