Daniel Kehlmann - Mein Algorithmus und Ich Unser Freund, der Algorithmus

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Der Bestsellerautor Daniel Kehlmann folgte einer Einladung des Silicon Valleys, und arbeitete mit dem Schreibalgorithmus "CTRL". In seinem aktuellen Buch schreibt er über seine Erfahrungen. Foto: Klett Cotta Verlag

Vor wenigen Tagen erschien das 64-Seiten starke Büchlein "Mein Algorithmus und Ich" des Bestsellerautors Daniel Kehlmann. 2019 folgte dieser einer Einladung des Silicon Valley, um den Schreibalgorithmus "CTRL" auszuprobieren. Hier berichtet Kehlmann nun über das Zusammentreffen von künstlerischer Existenz und künstlicher Intelligenz, wie er sagt. Das Interessanteste an dem Buch allerdings, ist nicht sein Inhalt.

Der Mensch ist das Andere der künstlichen Intelligenz, hatte der Philosoph Richard David Precht in seinem Buch "künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens" klar herausgestellt, und somit den Befürwortern des Transhumanismus eine Gegenposition geboten. Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hingegen, scheint zumindest ein gewisses Interesse an transhumanistischen Prozessen zu haben; Prozesse, mittels denen Produkte hergestellt werden können, deren Essenz im Grunde nicht-mehr-nur-menschlich ist. In seinem schmalen Band "Mein Algorithmus und Ich" - hervorgegangen aus seiner "Stuttgarter Zukunftsrede" - beschreibt Kehlmann seine Begegnung und Arbeit mit dem Schreibalgorithmus "CTRL", der in der Lage ist, Wörter nach dem Prinzip der Wahrscheinlichkeitsrechnung aneinanderzufügen. Eingeladen wurde er vom Silicon Valley.

Wenig Überraschendes

Das Buch selbst ist schnell abgetan. Kehlmann beschreibt seine anfängliche Begeisterung darüber, wie gut die "Zusammenarbeit" zwischen "künstlerischer Existenz und künstlicher Intelligenz" zunächst funktioniert. Doch schnell gerät der Schreibalgorithmus an seine Grenzen. Es fehle ihm, wie Kehlmann schreibt, an "narrativer Konsistenz", er suche stets nach dem geeignetsten Wort, "nach der wahrscheinlichsten Wendung", könne aber nicht einen längeren Plot berücksichtigen. Das Fazit kommt weniger überraschend daher, als das Projekt selbst: Wer mit einem Algorithmus umgeht, hat es mit einem seelenlosen Problemlöser zu tun, der nichts mit den gruseligen Schreckensvorstellungen zu tun hat, die wir aus sämtlichen dystopischen Science-Fiction-Filmen kennen. Zwischendrin liest man hie und da noch ein paar nette Worte über die inspirierenden Damen und Herren des Silicon Valleys, die klug, offen und frei sind - und selbstverständlich keineswegs den Schreckensvorstellungen sämtlicher Kapitalismuskritiker entsprechen. Dann neigen sich diese 64 Seiten unaufgeregt dem Ende.

Unser Freund, der Algorithmus

Interessanter als der Inhalt, ist die Aufmachung des Buches, die scheinbar einiges zu verbergen versucht. Zunächst: Die Vorstellung, Schriftsteller würden gemeinsam mit Schreibalgorithmen wie "CTRL" ihre Bücher schreiben, wirft doch unweigerlich die Frage auf, ob wir es hier überhaupt noch mit einem Schriftsteller oder einer Schriftstellerin im strengen Sinne zu haben. Ob man eine transhumanistische Prozedur nicht als solche kennzeichnen sollte, um Mensch und Mensch-Maschinen-Geflecht zu unterscheiden. Dies wiederum führt geradewegs zu der Frage, ob ein mithilfe von K.I. geschriebenes Buch überhaupt als "Literatur" zu bezeichnen ist? Was verstehen wir unter diesem Begriff, was erwarten wir von einem literarischen Werk? Im Text selbst berührt Kehlmann dieses Thema so gut wie überhaupt nicht. Seine Reise erscheint schlicht als eine Reise dorthin, wo Zukunft gemacht wird. Basta.

Mehr verrät der Titel des Buches "Mein Algorithmus und Ich", der nicht zufällig an den Titel des 1957 erschienenen US-amerikanischen Film "Unser Freund, das Atom" erinnert. Ist mit diesem Titel nicht bereits angedeutet, dass ein Schreibalgorithmus wie "CTRL" wie ein erweitertes Handwerkzeug des "Schriftstellers" funktioniert, wie eine Maschine also, die den Bedienenden nicht beeinflusst, ihn nicht von seinem Pfad, seinem erzählerischen Weg abbringt, sondern - im Gegenteil - dabei hilft, diesen erfolgreich zu beschreiten? Mein Algorithmus und Ich, dass ist kein Wir, sondern ein Ich plus. Abgesehen von seiner Liasion-ähnlichen Lesart vermittelt dieser Titel also genau jene Botschaft, die wir nur allzu gut vom Silicon Valley kennen: Vernetz dich, erweitere dich, hab keine Angst, alles wird gut, wir sind für dich da.

So bejaht Kehlmann ein transhumanistischen Weltbild quasi per Überschrift. Und auch die Tatsache, dass Kehlmann inhaltlich einige vergleichsweise winzige Zweifel diesbezüglich aufkommen, ändert nichts daran, dass hier ein komplexes Thema verniedlicht, ja verherrlicht wird.


Daniel Kehlmann, "Mein Algorithmus und Ich. Stuttgarter Zukunftsrede"; Klett Cotta, 2021, 64 Seiten, 12 Euro




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