Chris Carter: Die stille Bestie Jenseits der Bosheit

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Chris Carter schlägt wieder zu: Mit "Die stille Bestie" gelingt dem Wahl-Londoner ein Thriller, der die ungeheure Perversion eines Serientäters in einem mitreißenden Thrillerplot verschmelzen lässt.

Foto: Ullstein

"Die stille Bestie" wird zwar unter dem Ermittlerduo Hunter & Garcia vermarktet, doch in diesem Thriller tritt nur Detective Robert Hunter auf. Ohnehin ist dieser Roman anders als die Vorgänger: Erstmals hat Carter aus seiner Zeit als forensischer Psycholologe Personen und Vorfälle eingebaut, die auf Tatsachen beruhen. Die Fachkenntnis des Autors, insbesondere was die Psychologie von Serienmördern betrifft, macht einen hohen Teil des Reizes aus.

Das Studium des Wahnsinns

Zunächst scheint der Fall klar: Nach einem Unfall werden Leichenteile im Wagen von Lucien Folter gefunden. In Haft kommt der Verdächtige der Polizei geradezu unheimlich vor. Er ist extrem beherrscht, schläft jeden Tag exakt die gleiche Zeit, sitzt regungslos in der Zelle und verweigert jede Aussage. Er verlangt jedoch, mit einem einzigen Detective zu sprechen: Dr. Robert Hunter.

Was Hunter nicht ahnt: Lucien Folter ist ein alter Studienkollege von ihm und hat Kriminalpsychologie studiert. Tatsächlich war Folter zu Hunters bestem Freund in den Studientagen geworden, ehe sie sich aus den Augen verloren hatten.

Wohl oder übel verhört Hunter seinen alten Freund, der zu seinem Entsetzen schnell die Morde zugibt. Doch das ist erst der Anfang: Lucien Folter hatte sich im Fach Kriminalpsychologie nicht etwa aus Rechtsbewusstsein oder mit Blick auf eine Kripo-Karriere eingeschrieben. Es war die Faszination am Mord selbst, und die Theorie schürten Folters Fantasien. Er begann, zu experimentieren - jedoch nicht im universitären Sinne. Und jetzt hat er ein weiteres Ziel: Er will Robert Hunter zum Mörder machen.

Hannibal Lector lässt grüßen

Bald wird klar, dass es noch viel mehr Leichen geben muss - aber Lucien Folter beginnt, das aus "Das Schweigen der Lämmer" bekannte Prinzip Quid pro quo zu spielen: Der Mörder gibt nur die Verstecke preis, wenn er psychologische Fragen an Hunter stellen darf. Tatsächlich geht es aber um viel mehr als vergrabene Leichen. Robert Hunter erkennt, dass er jahrelang ein Studentenzimmer mit einem menschlichen Monster geteilt und sich ihm in geradezu fataler Weise geöffnet hat.

Fazit: Chris Carter betreibt fast überhaupt keine Charakterexposition; die meisten Figuren bleiben eindimensional und wirken wenig ausgearbeitet. Gerade das bewirkt, dass die detailreiche Enthüllung des Geisteszustandes von Lucien Folter und dessen irres psychologisches Katz-und-Maus-Spiel mit Robert Hunter zum tragenden Erlebnis des Romans wird. Die wesentliche Stärke ist, dass trotz der grotesken Gedankenwelt des Mörders dessen Handlungen aus dessen Perspektive nachvollziehbar erscheinen. Carter zeichnet auch mit seinen Erfahrungen in der Psychologie ein glaubwürdiges Bild des Wahnsinns. Obwohl Action-Szenen eher die Ausnahme sind, macht es der Serientäter nicht nur für die Ermittler, sondern auch für den Leser quälend spannend: Er weiß halt mehr.

Stilistisch hält sich Carter an Gewohntes. Im amerikanischen Stil geht es im Wesentlichen um den Plot. Die Spannung erhöht Chris Carter mit den üblichen Cliffhanger-Techniken, die aber wirkungsvoll eingesetzt werden. Dass Lucien Folter ähnlich wie Hannibal Lector in "Das Schweigen der Lämmer" Quid pro quo spielt, stößt nur anfangs auf: Der Mörder in "Die stille Bestie" treibt letztlich ein anderes, umso perfideres Spiel, indem er nur schrittweise enthüllt, um wie viel es überhaupt geht.

"Die stille Bestie" ist damit einer der besten Thriller, den Chris Carter bisher abgeliefert hat.

Für wen eignet sich´s: Sie ahnen schon, dass Chris Carter bei einem munter experimentierenden Serienkiller reichlich Gelegenheit dazu hat, Unappetitliches zu beschreiben. Miss-Marple-Fans liegen hier falsch. Der Mörder ist bekannt, es gibt wenig zu Rätseln, aber umso mehr zum Mitfiebern.

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