Miit der Novelle "Die Zeit so still" des Schriftstellers und Künstlers Florian L. Arnold ist im Mirabilis Verlag aus Klipphausen/Miltitz vor wenigen Tagen die zweite Novität des Verlags in diesem Herbst erschienen. "Die Zeit so still" ist ein Text, der dystopisch und märchenhaft zugleich erscheint. Ein Buch zur Zeit: Arnold schreibt über Menschlichkeit und Hoffnung in Zeiten der Pandemie.
Die Journalistin Birgit Böllinger führte mit dem Autor Florian L. Arnold das folgende Interview.
Wo hast Du Dein Buch geschrieben?
Entstanden ist das Buch während des ersten Lockdowns im April 2020, innerhalb weniger Tage. Es war eine neue Erfahrung, denn üblicherweise schreibe ich am Besten, wenn ich den Ort wechsle. Ich kann zuhause nicht schreiben, ich muß dazu – üblicherweise, wie ich sagen muß – unterwegs sein. Dann kam dieser Lockdown, dieses diffuse Gefühl, eingesperrt zu sein, obwohl man ja doch für Einkäufe oder einen Spaziergang noch hinaus durfte. Ich war jeden Tag draußen in der Natur, aber ich hatte dennoch das Gefühl, nicht „raus“ zu können. Zudem der Gedanke: Wie geht es jenen, die nicht in die Natur hinaus können, die vielleicht ganz und gar eingeschlossen sind ... Dann, gegen 22 Uhr abends, war plötzlich dieser Ton da, diese Stimme der Figur von Garham, die sich wundert über alles und doch zugleich alles schon zu wissen scheint. Ab da saß ich dann an meinem heimischen Schreibtisch oder im Wohnzimmer und schrieb. Und konnte nicht aufhören bis der letzte Satz in Reichweite war.
Wie schreibst Du?
Die erste Fassung eines Buches entstand - vor „Die Zeit so still“ - immer handschriftlich oder auf einer alten „Hermes“- Schreibmaschine. Ich empfand dies als besten Weg, um schon im Entstehungsprozess gewisse Fehler oder Flüchtigkeiten auszuschließen. „Die Zeit so still“ ist das erste Buch, das ich tatsächlich komplett am PC geschrieben habe; ich war ehrlich gesagt erstaunt, daß es geht, daß ich so auch schreiben kann ohne meine Sprache zu verlieren. Schreiben ist ja der Musik verwandt indem es Rhythmus und ein Leitmotiv haben muss, es hat neben allen immateriellen Aspekten auch etwas ganz physisches. Mit der Hand zu schrieben erschien – erscheint mir weiterhin! - als Möglichkeit, im Schreibprozess aus der Gegenwart auszuscheiden und hineinzugehen in die eigene Welt. Dana Grigorcea nannte es einmal sehr treffend „Ein Kampf mit dem Flüchtigen“. Dem kann ich nur zustimmen. Daß man einen solchen „Kampf“ auch an der kühlen
Plastiktastatur eines PC aufnehmen kann, war mir neu. Oh, und ich schreibe nachts. Immer nachts.
Weisst du von Anfang an, wo Du hinwillst?
Nie. Ich habe als erstes Motiv für jede Geschichte – egal ob Kurzgeschichte, Novelle oder größere Form – immer ein Bild oder so etwas wie eine sehr kurze, meist wortlose Szene im Kopf, wie eine kurze, tonlose, körnige Stummfilmsequenz. Schlecht belichteter Film.
Bei meinem ersten Buch war dieses erste Motiv ein Traumbild – ich war wieder ein Kind, spürte im Rücken eine große und gefährliche Person, war aber ausserstande, mich umzudrehen oder die Gefahr einzuschätzen.
Bei „Die Zeit so still“ waren erste Motive die Enge und die Stille. Im Lockdown hat mir das Wegbrechen sozialer Kontakte sehr zu schaffen gemacht. Ein Telefonat, ein Chat, selbst Skype- oder Zoomgespräche, das alles kann (für mich) das Persönliche nicht ersetzen, es bleibt merkwürdig flach und in Distanz. Nach diesem ersten „Motiv“ oder, nennen wir es „Gefühl“, entwickelte sich die Geschichte dann sehr schnell, als würde mir sie jemand in den Kopf hineinsprechen, so daß ich sie nur noch Wort für Wort aufschreiben musste. Es war dann allerdings ein Drahtseilakt, im richtigen Moment aufzuhören, denn sehr leicht hätte es Dutzende, ja Hunderte von Motiven und Seitenthemen gegeben, denen ich gern nachgegangen wäre. Das hätte aber die Form gesprengt und es wäre ein völlig anderes Buch geworden.
An wen wendet sich „Die Zeit so still“?
Ich glaube, daß die dystopische Dimension im Buch ein Rahmen ist für den Versuch, herauszufinden, was ein „Familienschicksal“ ist. Ob man diesem entkommen kann oder ob Traumata, Ängste, Eindrücke uns auf immer prägen, auch in kommende Generationen. Vor allem aber ist es einmal mehr ein Nachdenken über Solitäre unter uns: Menschen, die sich nicht einpassen können und darum mehr sehen, mehr erleben – und denen mehr zustößt. Als Autor lebe ich ja recht sicher, besonders im Vergleich mit anderen Berufen. Zugleich aber sehe ich meine Aufgabe darin, aussergewöhnlichen,
harten, auch schmerzhaften Geschichten einen Raum zu geben, es ist egal, ob diese Geschichten sich an realen Begebenheiten orientieren oder eine starke dichterische Komponente haben.
„Die Zeit so still“ berichtet von zwei Männern, die, jeder auf seine Weise, an den eigenen Ansprüchen scheiterten, ebenso aber von äusseren Einflüssen gelenkt ein für sie falsches
Dasein aufnahmen. Im Buch gelangen beide geradezu zeitgleich an einen Punkt, wo sie erkennen, wie sie sich aus dem falschen Leben befreien können. Die Rahmengeschichte einer jahrzehntealten Pandemie mag also das Etikett „Dystopie“ auf dem Buch rechtfertigen – man muss aber auch die Sprache, die Erinnerung, die menschliche Wärme und das Miteinander als Sehnsuchtsort im Blick zu haben. „Die Zeit so still“ zeigt, wie wichtig das Erinnern ist an alles, das unwiederbringlich verloren ist.
Das Interview führte Birgit Böllinger