Perserbriefe 1971 - 1981 (5. Teil)

Vorlesen

Es handelt sich hier um Briefe, die eine Studentin aus Isfahan, Roxana, an ihre Schwester Fatima, ihre Familie, ihre beiden Brüder, Abu und Ali, sowie ihre Freunde in Deutschland schrieb und um die Antworten, die sie erhielt. Sie bekam vom DAAD ein Stipendium, um ihr Romanistik- und Germanistik-Studium in Bonn Anfang der 70er Jahren fortzusetzen und eine Doktorarbeit über Montesquieu und die orientalischen Frauen zu schreiben. Geschildert wird ihr Lebenslauf an der Alma Mater in Bonn, ihre Reisen durch Deutschland und nach Paris, wo ihre jüngere Bruder Ali Medizin studiert. Es ist das erste Mal, dass sie ihr Land verlässt und den Okzident besucht, ihre Eindrücke schildernd.


Fatima Usbek in Isfahan an ihre große Schwester in Bonn



Zeitgeschehen

Georg LUKÁCS stirbt 85jährig am 4. Juni 1971. Er ist der Autor des Essaybandes "Geschichte und Klassenbewusstsein" aus dem Jahre 1923. Dieses Klassenbewusstsein ist längst verschwunden. Walter SCHEEL, im 2. Weltkrieg Oberleutnant der Luftwaffe, ein FDP-Mann, besucht als erster deutscher Außenminister Israel.


Liebe Roxana,

Ganz Isfahan spricht von Dir und Deiner Abreise. Einige glauben, Du würdest vor Deinem Verlobten Omar fliehen, andere meinen, Du seist unendlich ehrgeizig und wolltest durch Dein Auslandsstudium eine höhere Qualifikation anstreben, um einmal Schuldirektorin in Isfahan oder Professorin in Teheran werden. Alle Deine Freundinnen beneiden Dich jedenfalls um Deine Unabhängigkeit und Deinen Mut. Doch in unserem Hause ist es, seitdem du weg bist, sehr ruhig und langweilig geworden. Vater ist griesgrämig wie immer, raucht zuviel und hustet. So leicht es ihm fiel, Deine beiden Brüder Ali und Abu ziehen zu lassen, um so verdrießlicher war er, als Du nun gingst. Er hat Dir immer noch nicht verziehen, dass Du seinen Hochzeitsplänen vorerst einen Strich durch die Rechnung gemacht hast und fühlt sich persönlich beleidigt. Ich sagte ihm und Abu ganz gehörig meine Meinung, als wir nach Deinem Abflug zurück in die Stadt fuhren. Wir Frauen hätten auch ein Anrecht auf Bildung und Unabhängigkeit. Doch sie hörten mir gar nicht zu.

Also halte durch, schon deinetwegen und auch meinetwegen, lass Dich nicht unterkriegen! Auch bei uns malen die Verwaltungsmühlen langsam und unsympathische Menschen gibt es auch hier zur genüge! Erzähle mir lieber mehr von dem jungen Mann mit blondem Bart und Nickelbrille, der dich bis in deinem Wohnheim begleitete: hast Du ihn inzwischen wiedergesehen? Bei uns würde sich ja kein fremder Mann trauen, einem Mädchen bis nach Hause zu begleiten!

Unsere Väter müssten endlich begreifen, dass die Zeiten nun vorbei seien, wo die Töchter sich tief verneigten und ihre rechte Hand küssten, wenn sie nach Hause kommen. Die Frauen seien genau so viel wert wie die Männer und hätten genau so das Recht, sich frei zu entfalten und glücklich zu sein. Abu wollte sofort mit seinen Koransprüchen dazwischen fahren, ich ließ ihn aber nicht zu Wort kommen. Mohammed hätte, sagte ich ihm, alle Frauen geliebt, die er hätte bekommen können, und obendrein ihre Gleichbehandlung ausdrücklich angefordert. Es sei keine Schmach als Frau geboren zu werden, wir seien nicht Sklavinnen sondern Partnerinnen, genau wie schon Kadidia, Mohammeds erste Frau. Zu Hause angekommen, zogen sie sich dann beide schnell zurück, sie hätten noch Wichtiges, natürlich nur unter Männern, zu besprechen.

Mir blieb nur unsere Mutter, und die denkt leider was ihr Mann, ihr Herr und Gebieter, einflüstert. Du warst ihr mit Deinem Freiheitsdrang immer etwas unheimlich. Ali, ihr jüngster Sohn, ist und bleibt ihr Lieblingskind. Ihn hätte Sie gerne zu Hause behalten und behütet. Abu hingegen scheint ihr, seitdem er den Turban trägt, fast noch mehr Angst einzuflößen als ihr eigener Mann. Ich kann auf sie einreden so viel ich will: Sie duckt sich immer nur vor den Männern der Usbek-Sippe und versucht zu beschwichtigen. Sie hat sämtliche traditionellen Verbote und Gebote derart verinnerlicht, dass sie bis zu ihrem letzten Atemzug ihre Söhne bewundern und ihre Töchter bemitleiden wird. Für Sie sind wir Mädchen nur das Negativ der Buben. Wir Frauen sind im Schatten, sie, die Herren der Schöpfung, stehen im Licht, wir haben zu schweigen und nur sie dürfen das große Wort führen. Genau wie für Abu, kommt auch für sie zuerst Allah und sein Prophet, dann alle männlichen Muslime und ganz am Ende der Rangordnung, wir die Musliminnen! Wobei in ihren Augen eine gute Muslimin nur diejenige ist, die ihrem Manne einen Sohn nach dem anderen fabriziert. Aber Jungfrauen, die ihre Tage haben und keinen Ehegatten, der sie besteigt, die sind für sie gefährlich und unrein. Sie müssen so schnell wie möglich unter die Haube gebracht werden! Ein sogenannter Fehltritt, und schon ist die Ehre der ganzen Familie besudelt. Die Ehre der Sippe wird angeblich durch uns Jungfrauen allein verkörpert und unsere Mütter und Tanten sind unsere übelsten Tugendwächterinnen. Wir sollen uns immer vor den Männern vorsehen und verstecken.

Unsere Mütter und Großmütter gaukeln uns zwar im Hamam eine rein weibliche geheime Welt vor, doch die ist nichts als Lug und Trug. Du hast es richtig gemacht und sobald ich volljährig bin, mache ich es Dir nach und gehe auch ins Ausland, um zu studieren. Ich werde Ärztin. Was mein Bruder Ali kann, kann ich schon lange! Zum Glück ist der Dünkel unseres Vaters genau so groß wie sein Misstrauen: Eine in Bonn und dann noch eine in Paris studierende Tochter, das hört sich gut an, bringt ihm in seinen Kreisen Prestige und so überwindet er, allerdings nur zögerlich seinen Widerwillen, uns allein ins Ausland zu lassen. Nicht wie Du, nach Deutschland werde ich gehen, sondern nach Frankreich, wie Ali. Dort in Paris geht es freier und urbaner zu, als in Bonn. Meine Noten in Französisch, Biologie und Chemie, sind besser als die seinigen. Ali und seinen Weibergeschichten - er darf das ja! - wird mit seinem Studium doppelt so lange brauchen wie ich. Ich werde Frauenärztin und helfe dann unseren Schwestern hier in Persien, in ihrem Befreiungskampf. Und ich werde mich nicht, wie Du, vorher noch verloben lassen!

Doch, wie könnte es anders sein: das große Thema hier in Isfahan sind einzig und allein die Vorbereitungen zur Kaiserkrönung Mitte Oktober. Es geht bei den Weibergesprächen nur noch um Kleider und Schneider, Schmuck und Pariser Schuhe, Chanel und Yves Saint-Laurent. Ich ertrage den ganzen Zirkus kaum noch. Vater bekam ja eine Einladung zu den Feierlichkeiten in Persepolis für sich und seine Familie. Er ist ganz stolz, empfindet das als große Ehre, will sogar Mamma eine prachtvolle perlenbestickte lange Robe aus Paris spendieren und hofft natürlich, dass wir beiden “Jungfrauen” auch mit von der Partie sind und hinter ihm her defilieren, sittsam und tugendhaft. Wie mir das stinkt! - Neugierig bin ich schon, der Neid meiner nicht eingeladenen Freundinnen amüsiert mich.

Übrigens, Deine ersten beiden Briefe erhielt ich erst vorgestern: unser Vater übergab sie mir ungeöffnet, doch vermute ich, dass er sie ein paar Tage zurückgehalten hat. Er wollte allerdings heute von mir wissen, wie Du in der Botschaft empfangen worden seist und von wem. Als ich dann beim Abendessen sagte, der Botschafter habe Dich persönlich empfangen, nickte er nur zufrieden. Der eitle Fatzke! Dass Du Fahrrad fährst, habe ich ihm natürlich nicht gesagt. Ich beneide Dich ja so. Hier zu Hause durften wir ja nur im Garten etwas radeln und niemals draußen in der Stadt.

Übrigens ist Dein Verlobter auch schon hier zu Hause bei uns aufgetaucht, er machte Vater und Mutter seine Aufwartung und überbrachte einen Brief seiner Mutter. Natürlich war er wieder in großer Parade-Uniform, sogar seine Schuhe waren weiß poliert und er hatte sich wie üblich mit seinem widerlichen Paco Rabane Riechwässerchen übergossen und stank wie zehn Moschus-Ochsen. Stolz zeigte er mir den Umschlag deines Briefes aus Bonn. Doch lesen durfte ich ihn nicht. Unter dem Vorwand noch Schularbeiten machen zu müssen, verließ ich, so schnell wie es der Anstand erlaubte, den Ort der Handlung.

Mutter ist ja von ihm ganz angetan und meinte, ich solle mir auch einen so netten Offizier aussuchen und ein Beispiel an Dir nehmen. Wenn die Arme wüsste! Im Grunde sind wir Mädchen nur in der Schule und während wir studieren relativ frei. Zu Hause, auf der Straße, in den Kaffees, im Kino, zum Bummeln und Einkaufen, dürfen wir nur im Rudel auftreten, zumindest mit einer älteren Verwandten oder in männlicher, familiärer Begleitung. Du hast Recht, Roxana, nur wenn wir uns bilden und studieren, können wir eine gewisse Freiheit genießen, zumindest uns frei austauschen, unsere Meinungen und Ansichten vertreten. Zu Hause ist das jetzt, wo Du weg bist, für mich ganz unmöglich. Du fehlst mir schon sehr Roxana: ich liebe und bewundere Dich, mein Schwesterherz!

Gib' bitte nicht auf. Das wäre eine Niederlage nicht nur für Dich. Lass Dich von der alten schimpfenden Dame nicht beirren. Die war nur verbittert und borniert. Mach es den Herren und den Kanakenfressern dort in Bonn nicht so leicht. Halte durch. So schlimm, wie Du sie machst, sind die Deutschen bestimmt nicht. Schwinge Dich auf dein Rad und trampele Dir die Wut vom Leibe! Denke nur an deinen lockigen bärtigen Blondschopf! Schreibe mir bald, ob Du ihn noch einmal getroffen hast. Er weiß ja wo Du wohnst. Ich schweige auch wie ein Grab, mein Ehrenwort!

Deine Dich beneidende Fatima.









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