Philosophie und Gesellschaft Richard David Precht: Die Grenzen der künstlichen Intelligenz

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In seinem neuen Buch denkt der Philosoph Richard David Precht über die Möglichkeiten und Grenzen der künstlichen Intelligenz nach. Foto: Goldmann Verlag

Wie weit darf künstliche Intelligenz gehen? Worin unterscheidet sich der Mensch von der Maschine? Wie sieht die Zukunft des Automobils aus? In seinem neuen Buch "Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens" denkt der Philosoph Richard David Precht darüber nach, wie viel Macht wir unseren Maschinen geben sollten.

In der Einleitung seines 1956 erschienenen Buches "Die Antiquiertheit des Menschen 1" formulierte der Philosoph und Schriftsteller Günther Anders einen visionären Gedanken. Anders ging davon aus, dass die vom Menschen produzierten Produkte dazu führen, dass dieser hinter seinen selbst geschaffenen Erneuerungen hinterherhinkt. Beim Versuch, sich der Geschwindigkeit seiner Produkte anzupassen, kommt der Mensch ins straucheln und überhebt sich. Und es wäre "...durchaus denkbar, dass die Transformation der Geräte zu rapide vor sich ginge, schlechthin zu rapide; dass die Produkte etwas Übertriebenes von uns verlangen, etwas unmögliches; und uns durch ihre Zumutung wirklich in einen kollektiv pathologischen Zustand hineintreiben". (Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, S. 30)

Ja, gerade gegenwärtig hört man ihn immer häufiger, den Ausspruch: Die Welt ist krank geworden. Gemeint ist damit: Wir sind krank. Im Schleudertrauma der Erneuerungen, in Anbetungs-Pose vor den Innovationen kniend, im Produkt-Fetischismus gefangen. Aber was erwarten wir uns, von diesen neuen strahlenden Produkten? Was werden sie bringen, außer eben jenen Fortschritt, der uns - aus Günther Anders Sicht - erkranken lässt? Darüber hat Richard David Precht in seinem neuen Buch "Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens" nachgedacht. Ein wichtiger Gedanke darin: In Abgrenzung zur Maschine erfahren wir wieder mehr über das Menschliche.

Der Silicon Valley-Wahnsinn

Da hätten wir die in diversen Versionen vorgetragenen Horrorgeschichten, die, so hat man den Eindruck, für die Bücherregale der Verschwörungstheoretiker erzählt werden: Maschinen übernehmen die Weltherrschaft, knechten die Menschheit und machen sich diesen Planeten zu eigen. Vorstellungen, die auch im Silicon Valley kursieren und die Precht für "abenteuerlich" und schlichtweg falsch hält. Denn hinter diesen Ideen steht ja zwangsläufig der Gedanken, die Maschinen würden so etwas wie einen eigenen Willen zur Macht entwickeln. Der Wille aber, so Precht, war in der Evolution bereits vorhanden, bevor einzelne Lebewesen eine Intelligenz entwickelten. Die heraufbeschworene Umkehrung, der Wille würde sich nun aus der Intelligenz (der künstlichen in diesem Falle) entwickeln, sei "völliger Unsinn".

Doch auch wenn der geknechtete Mensch - inwiefern er ohnehin durch die technischen Erneuerungen geknechtet ist, ist eine andere Frage - kein mögliches Zukunftsszenario darstellt, besteht doch die Gefahr, dass uns die künstlichen Intelligenzsysteme entgleisen. Zum Beispiel in Hinblick auf die Finanzmärkte:

„Je intelligenter der Hochfrequenzhandel wird, je mehr er sich verselbstständigt, umso pannenanfälliger oder unkontrollierbarer wird er. Also, Zusammenbruch des Weltfinanzsystems durch eine entgleiste künstliche Intelligenz – das halte ich für ein realistisches Szenario.“ (Richard David Precht im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur)

Autonomes Fahren ethisch programmieren?

Ein großes Problem sieht Precht bei der Programmierung ethischer Entscheidung. So etwa bei dem selbstfahrenden Auto. Wir dürfen Systeme nicht darüber entscheiden lassen, "... ob sie lieber eine Oma überfahren oder lieber ein kleines Kind“, so der Philosoph. Indessen wäre eine solche Programmierung ohnehin nicht mit den Menschenrechten vereinbar. Den Wert von Menschen abzustufen, dass sei nach den Erfahrungen des Dritten Reichs streng verboten und widerspreche dem Grundgesetz.

Der Mensch als das Andere der künstlichen Intelligenz

Die Gegenüberstellung von Mensch und Maschine macht vor allem deutlicher, worin das "Menschliche" tatsächlich besteht. Wir sehen anhand der technischen Entwicklung, dass in vielen Bereichen bisher noch von Menschen betriebene Handlungen überflüssig werden. Gerade diese Tätigkeiten, so könnte man daraus ablesen, definieren nicht das Menschliche. Der Begriff "unmenschliche Arbeit" bekommt durch die Digitale Revolution eine erschreckend klare Bedeutung. Dazu Precht im Gespräch:

„Wir sind keine defizitären Rechner, sondern empfindsame, verletzliche und resonanzbedürftige Wesen, die sich ihr Leben erzählen, um es mit Sinn auszustatten." (Richard David Precht im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur)

Der Mensch, so Precht, ist "das Andere der künstlichen Intelligenz". Die Vernunft sei in der Philosophie lange Zeit überschätzt worden. Das Leben ist nicht dadurch definiert, Probleme zu lösen, wie es der Philosoph Karl Popper einmal formulierte ("Alles Leben ist Problemlösen"). Folge man dieser Formel um zu sagen, dass Mensch und Maschine sich ähneln, übersehe man die vielen unterschiedlichen Emotionen und Gedanken, die unser Handeln evozieren und leiten.

Was den Maschinen fehlt ist Leidenschaft, Sinnlosigkeit, Katastrophen und Einbrüche, wie auch immer sie geartet sein mögen. Die vielen zufälligen Wendungen samt unseren oft unzureichende Reaktionen, die möglicherweise genau das hervorbringen, was wir zu vermeiden versuchten, definieren das Menschliche in Abgrenzung zur Maschine am ehesten. Dass wir - um auf den Anfang dieses Artikel zurückzukommen - den von uns in die Welt gesetzten Produkten nachhinken und in diesem Nachhinken erkranken, ermatten und verzweifeln, aber nach wie vor sagen können: Jetzt reicht es!


Richard David Precht - "Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens", Goldmann Verlag, 2020, 256 Seiten, 20 Euro

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