Ein phantastisches Nordland-Epos entrollt die deutsche Schriftstellerin Katharina Hartwell im ersten Teil ihrer Jugendroman-Trilogie „Die Silbermeer-Saga – Der König der Krähen“. Der Held dieser spannenden Seefahrer-Geschichte ist eine kühne, junge Heldin, die – ganz passend zum Thema – den Namen der größten nordischen Sagen- und Mythensammlung trägt: Edda.
Diese Edda Valt mit der kupferroten Haarmähne lebt mit ihrem kleinen Bruder Tobin in dem Fischerdörfchen Colm an der Küste des Silbermeeres bei ihrem Vater Ruben, der täglich mit seinem Boot ausfährt, um Colminfische zu fangen. Diese Colminfische bilden die wichtigste Einnahmequelle des Dorfes, daher sind die meisten Männer als Fischer auf dem Silbermeer unterwegs, während die Frauen und Kinder die Fischschuppen zu Colmin zerstampfen, einem wertvollen Rohstoff, der in kleinen Mengen als Medizin genutzt wird, und daher im gesamten Inselreich ein heiß begehrtes Handelsgut darstellt. Der Apotheker des Dorfes kennt die geheimen Colmin-Rezepturen, und sein Sohn ist Eddas bester Freund: Teofin, der wegen seines lahmen Beines ein Außenseiter ist. Genau wie die Geschwister Valt: Sie wurden einst als Findelkinder im Dorf ausgesetzt und sind seither die ewig Fremden. Eddas Leben in Colm ist geprägt von harter Arbeit und einem ewig gleichen Alltag; nur die Händler, die wegen des Colminhandels das Fischerdorf aufsuchen, bringen mit ihren Geschichten einen Hauch der großen, weiten Welt in Eddas Leben.
Damoklesschwert über Colm
Doch über dem ruhigen Dorf schwebt ein dunkles Damoklesschwert: Jedes Jahr in den Kaltwochen, in denen Schnee und Eis den Dorfbewohnern das Leben schwer machen, verschwindet ein Kind aus dem Dorf. Die Dörfler haben die vielen verschollen Kinder „Seekinder“ getauft, denn sie können sich das Verschwinden nur damit erklären, dass sich das Meer selbst jährlich ein Kinderopfer holt. In diesem Jahr trifft es sogar gleich zwei Jungen aus Colm: Einer davon ist Tobin, Eddas jüngerer Bruder. Die sofort eingeleitete Suchaktion bleibt wie erwartet ohne Erfolg, Edda findet nur eine merkwürdige schwarze, grünschillernde Feder in Tobins Schlafkammer – die Feder eines Vogels, den in Colm niemand kennt.
Edda will nicht glauben, dass ihr Bruder ertrunken ist, und so beginnt sie auf eigene Faust mit Nachforschungen. Gemeinsam mit ihrem Freund Teofin stattet sie einer Hexe einen Besuch ab und sucht den Kontakt zu einem geheimnisvollen Fremden. Sie erfährt, dass es sich bei der schwarzen Feder wahrscheinlich um eine Krähenfeder handelt, und hört von dem sagenumwobenen König der Krähen, der auf einer fernen Insel in den unbekannten Weiten des Nordmeeres leben soll. Edda trifft eine mutige Entscheidung: Sie will diesen Krähenkönig finden und ihren Bruder aus dessen Fängen befreien. Gemeinsam mit dem undurchsichtigen, seltsam farblosen Fremden Brand stiehlt sie nachts eins der Fischerboote und bricht auf zu einem großen Seefahrerabenteuer.
Wassermänner und andere Schwierigkeiten
Da Edda in einem Dorf aufgewachsen ist, dessen Bewohner nie ihr eng begrenztes Territorium verlassen haben, ist für Edda alles neu und unbekannt: das Segeln, die Gewässer und Inseln. So muss sie ihrem zwielichtigen Reisegefährten Brand blindlings vertrauen, der sich bald nicht nur als Dieb, sondern auch als Mörder entpuppt: Ein gefährlicher Mann, dem Edda so bald wie möglich zu entkommen versucht. Doch zuerst erfährt sie durch den Tipp einer weiteren Hexe von einer sagenumwobenen Seekarte, der „Fließenden Karte“, die Edda benötigt, um den Weg in das nördlich gelegene Teermeer zu finden. Auf ihrer Reise ins Unbekannte erlebt Edda eine Gefahr nach der anderen: Gemeinsam mit Brand entkommt sie knapp einer Verfolgung durch bösartige Wassermänner, sie überlebt einen Schiffbruch, um sich kurz darauf als Gefangene in einem Käfig wiederzufinden. Nach mehreren Fluchten landet sie als herumstreunendes Straßenkind ohne einen „Rundling“ (Geld) in den Straßen der reichen Handelsstadt Akoban und kämpft ums Überleben.
Als Edda entdeckt, dass sie Tieren ihre Gedanken übermitteln kann, wendet sich ihr Schicksal: Der reichste Händler Akobans bietet ihr einen Handel an und stellt ihr ein Schiff mit eigener Mannschaft zur Verfügung. Doch schon bald muss die junge Heldin erkennen, dass sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat, bei dem nichts so ist, wie es scheint....
Nordic-Fantasy trifft Coming-of-Age: Im ersten Teil dieser wortgewaltigen, poesievollen Seefahrer-Geschichte entfaltet sich den Leser*innen eine eigene Welt der Phantasie, voller neuer Geschöpfe, frisch erfundener Wörter und Ausdrücke. Denn wer, zum Wassermann, hat schon eine Ahnung davon, wie wohl ein Schlucker oder Schmachter aussieht, geschweige denn, um was es sich dabei eigentlich handelt?
Fazit
Mit dem Teenager Edda, die im Roman ihr altes Leben hinter sich lässt und sich auf eine Reise zu neuen, unbekannten Ufern einlässt, hat Katharina Hartwell eine Romanfigur geschaffen, mit der sich viele junge Leser*innen identifizieren können. Denn auch ohne Phantasiewelt gibt es für Teenies laufend neue Erlebnisse und Herausforderungen, die gemeistert werden müssen. Und wer sich nach dem Lesen dieser Nordland-Saga in seinem Alltag umschaut, erblickt vielleicht auch im wirklichen Leben so manchen Schlucker und Schmachter!
Fazit: Ein stimmungsvoller Literaturgenuss für alle Leser*innen mit Abenteuerblut. Bei dieser Story würde selbst Odysseus noch einmal lossegeln! Auf geht’s in die Weiten des Silbermeeres!
Über die Autorin
Die 1984 in Köln geborene Schriftstellerin Katharina Hartwell studierte in Frankfurt a.M. Anglistik, Amerikanistik und Gender Studies. Später vervollständigte sie Ihre Studien am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Das 2013 veröffentlichte Buch „Das Fremde Meer“ war ihr Debütroman. Katharina Hartwell erhielt für ihre Werke bereits zahlreiche Preise und Auszeichnungen.
Katharina Hartwell, Die Silbermeer-Saga – Der König der Krähen, erschienen 2020 im Loewe Verlag, empfohlen für Jugendliche ab 14 Jahren, 616 Seiten, 19,95 Euro
Der zweite Teil „Die Silbermeer-Saga – Die Fließende Karte“ soll – laut Angaben des Verlages – im Frühjahr 2021 erscheinen!
Roman