Würde

Vorlesen

Was würde ohne Würde aus uns werden? Würden wir als würdelose Wesen verwesen? Lieber lebte ich voller Würde, stürbe auch voller Würde. Denn sterben werden wir müssen.

„Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.“ (W. Schäuble)

Im Mittelalter musste man auch sterben, oft würdelos. Da hieß die Würde mittelhochdeutsch noch werde oder werdekeit hieß, was nicht von werden, aber von Wert kommt. Historisch gesehen waren im Mittelalter aber sowohl Wert als auch Würde eines Menschen alles andere als unantastbar. Dennoch war, literarisch gesehen, die werdekeit eine wertvolle Rittertugend. Wertvolle Beschaffenheit, Verehrung, Herrlichkeit, Ehre. Und das gilt auch heute für die letzte Ehre, mit der wir dem Sterben und den Sterbenden Würde geben.

Das ist vor allem für Ärzte, Rettungssanitäter und Pflegekräfte nicht immer einfach. Wie würdig ist denn eine Triage? Wie wäge ich die Würde von Sterbenden ab? In vollen Hospitälern? In Schützengräben? Auf Flüchtlingsbooten? In solchen Situationen mag man an der Frage verzweifeln, warum es so schwer ist, dem Menschen die Verehrung seines Menschseins, seine Menschenwürde wertzuschätzen.

„Wohl ihm [dem Menschen] also, wenn er gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann!“ (F. Schiller)

Die Würde ist gar nicht so unantastbar, wie wir das gerne hätten. Auch der zweite Konjunktiv von werden, also dem Anfangen, Entstehen, Geschehen heißt würde. Als Hilfsverb ist würde eine beliebte Form, wenn man des Konjunktivs nicht mächtig ist. Dann wäre die Würde also nur eine Möglichkeit, eine Wahrscheinlichkeit? Würde eher eine Unwahrscheinlichkeit sein. Ist die Würde nur ein wäre, müsste, sollte, hätte? Also eigentlich würde die Würde des Menschen, wenn es die Umstände erlauben würden, irgendwie so unantastbar sein zu müssen glauben tun… Möglicherweise ist es aber eher unwürdig, wenn alte Menschen im Pflegeheim geschützt werden. Würden sie nicht lieber im Spätherbst ihres Lebens ihre Angehörigen um sich haben? Würden beim letzten Atemzug gerne die Hand des Kindes oder des Lebenspartners halten?

„Nichts ist quälender als die Kränkung menschlicher Würde. […] Die menschliche Würde und Freiheit sind uns natürlich. Also wahren wir sie, oder sterben wir mit Würde.“ (L. Tolstoi)

Wahren wir die Würde! Und die Freiheit! Schätzen wir sie wert. Das gilt nicht nur für Hochwürden und Würdenträger. Das gilt auch für Risikogruppen und systemrelevante Berufsgruppen. Das gilt auch für Minderheiten und sogenannte Nahrungseinheiten. Wahren wir den Wert und die Würde aller Wesen! Was wären wir sonst?

Gefällt mir
2
 

Weitere Freie Texte

Freie Texte

Fiona: Hoffnung

FIONA

Die Hoffnung klopft, so zaghaft sacht, doch bricht sie jedes Mal bei Nacht. Auch wenn sie den tag über nur lacht Hält sie der gedanke trotzdem die ganze Nacht wach Es wird bestimmt klappen Und ich kann es auch schaffen Und ich werde mich auch trauen, ... doch ... ich könnte es auch versauen Die Hoffnung, einst so zart und klein, ertrank in Tränen, kalt und rein. Sie fragt nicht mehr, warum, wofür, denn jede Antwort schweigt in ihr. Hoffnung nur ein positives Gefühl Sie glaubte daran doch dass ...
lesering
Freie Texte

Die Sehnsucht. Pindars Ode

Paweł Markiewicz

Du wie die Träumerei geboren von dionysischen Oden wie zarter Tag in deinem Wind – verzaubertem Schmetterling so wie das Goldene Vlies – zauberisch in der anmutigen Phantasie graziöses Paradies verloren ist doch gefunden und so schwärmerisch Du lotos-zärtlicher Tagfalter du – über den Vulkanen mit sanfter Flügel-Verzaubertheit verewigt in den Zeiten Ich möchte sein wie Du und ewige dankende Augen ein Heer der Gefühle scheint in fernen Mythen Ländern Ich wäre linder und unendlich wunderbar wie ...
lesering
Freie Texte

Irena Habalik: Hinter den geschlossenen Türen

Irena Habalik

werden die Gabeln poliert für die nächste Zugabe wird Posaune geübt für das Jüngste Gericht zu große Brust flach gelegt und geschmeckt zu kleiner Kopf in den Topf gesteckt wird laut diskutiert über die Abwesenheit der Milch wird geklagt über das Nachlassen der Schwerkraft Hinter den geschlossenen Türen wird die Liebe kalt begossen werden die Messer gewetzt, in die Tasche gesteckt die Unwahrheiten serviert zu den Mahlzeiten wird Brecht zitiert und Benn applaudiert das Perverse wird hier probiert ...
Freie Texte Freie Texte lesering
Freie Texte

Maxima Markl: Zeit

Maxima Markl

Ich schaue auf die Uhr vor, nach und während einer Tat die Zeit vergeht wenn ich nicht hinschaue Das Ticken einer Uhr ein Herzschlag Bist du tot, bleibt die Zeit für dich stehen Du veränderst dich nicht Bleibst gleich Bis die Zeit alle geholt hat Die sich an dich erinnerten Und die Uhr tickt weiter Früher gab es keine Uhr Keine Zeit Die Tage verschmolzen ineinander Aber es gab auch keine Tage Nur hell und dunkel War die Zeit dazwischen Sie floss wild Ungebändigt Und doch so stetig Bis man ihr ...
Freie Texte Freie Texte lesering
Freie Texte

Gabriele Ejupi: Die Last

Gabriele Ejupi

Der Schnee lastet schwer auf den Zweigen. Sie senken sich unter dem Druck, geben nach, verlieren ihren Widerstand. So lastet auch die Bürde des Lebens auf unseren Schultern, und auch wir geben nach, gehen nicht mehr so aufrecht wie einst. Wir versuchen, einiges abzuschütteln, die Last zu vermindern, sie in eine weit entfernte Ecke zu schieben. War es wirklich wichtig? Nicht alles verdient es, bis ans Ende unserer Tage getragen zu werden. Erinnerungen verblassen, und mit ihnen wird die Last ...
Freie Texte Freie Texte lesering
Freie Texte

Martin Neuhold:Lautlos

Martin Neuhold

Andere zerbrechen laut, und die Welt hält inne, reicht Hände, flüstert Trost. Ich zerbreche nach innen, schichtweise, lautlos, wie Holz, das von innen fault, bis nur noch die Hülle bleibt – aufrecht, unauffällig, brauchbar. Manchmal wünsche ich mir, zu schreien, zu explodieren, sichtbar zu sein im Splittern und Bersten. Aber ich bleibe still, wie immer, und funktioniere weiter, während mein Herz im Verborgenen zu Staub zerfällt.

Aktuelles

Heute Abend wurde dank der Unterstützung von Flossbach von Storch – Hauptsponsor der lit.COLOGNE – zum fünften Mal der OffSpring Award für junge Schreibende verliehen. Gewinner:in Carla Moschner nahm die Auszeichnung von Till Schmidt (Geschäftsführender Direktor Flossbach von Storch) entgegen. Schauspielerin Anneke Kim Sarnau trug die Texte der Finalist.innen vor. Fotocredit: ©Katja Tauber
Buchmarkt

Junge Literatur im Rampenlicht Carla Moschner gewinnt OffSpring Award der lit.COLOGNE 2025