Diese Ausgabe des "Literarischen Quartetts" feierte in zweierlei Hinsicht Prämiere: Zum einen, war es die erste Ausgabe der Gesprächsrunde ohne Publikum; und zum anderen die erste Ausgabe unter neuem Konzept. Die neue Quartett-Leiterin Thea Dorn lud drei Gäste ins stille Berliner Ensemble, und sprach über Literatur.
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Der abenteuerliche Simplicissimus Deutsch: Aus dem Deutsch des 17. Jahrhunderts von Reinhard Kaiser (Extradrucke der Anderen Bibliothek, Band 296)
Eva Menasse, Eugen Ruge und Matthias Brandt. So die Namen der drei Gäste, mit denen Autorin und Moderatorin Theat Dorn an diesem außerordentlich friedlichen 1. Mai im Berliner Ensemble sitzt und über aufbauende Literatur in Zeiten von Corona spricht. Wie bei vielen anderen sonst mit Publikum daherkommenden "Talk-Runden" erschreckt man ein wenig, wenn nach der Anmoderation und der Vorstellung der einzelnen Gäste der Applaus ausbleibt. Es ist still im Berliner Ensemble. Nicht anders denkbar, in Zeiten der Corona-Pandemie.
Es ist die erste Sendung unter neuem Konzept. Thea Dorn führt "Das Literarische Quartett" fortan allein. Die übliche Zusammenstellung, in der drei feste Mitglieder zu jeder Sendung einen Gast einluden, wurde gewissermaßen auf den Kopf gestellt. Und so gibt es von nun an an mit jeder Ausgabe drei neue Gesichter.
Adeline Dieudonné - Das Wirkliche Leben
Matthias Brandt beginnt mit der Vorstellung des ersten Buches: "Das wirkliche Leben" von Adeline Dieudonné. Etwas holprig erörtert er die Gründe seiner Begeisterung und rekonstruiert die Handlung. Ein Mädchen als Ich-Erzählerin, die unter einem herrischen, gewalttätigen und Whisky trinkenden Vater aufwächst. Eine "Horrorgeschichte" die das Leben bejaht, wie Brandt resümiert. Anschließend kommt die Runde zu Wort. Eva Menasse nimmt die Lektoren-Position ein, was daran liegt, dass das Buch, so Menasse, von handwerklichen Fehlern durchdrungen ist. Eugen Ruge schließt sich an. Er bringt das Problem des Buches auf den Punkt: Es handelt sich um eine Geschichte, die in ihrer Konzeption autobiografisch anmutet, aber vollkommen fiktional geschrieben ist. Außer Ruge bemerken alle Anwesenden einen ungeheuren Sog, der vom Buch ausgeht.
Gabriel García Márquez - Hundert Jahre Einsamkeit
Dieses Literarische Quartett ist eine Corona-Ausgabe. Daher ist es dieses Mal auch gestattet Bücher vorzustellen, die keine Neuerscheinungen sind. Eugen Ruge macht davon gebraucht, und empfiehlt den Leserinnen und Leser ein Buch des Nobelpreisträgers Bagriel García Márquez: "Hundert Jahre Einsamkeit". Dieses Buch noch zu bewerben, so Ruge gleich zu Beginn, sei müßig. Es ist weltweit bekannt und wurde mittlerweile über dreißig Millionen Mal verkauft. Die Handlung liest er als eine Parabel auf Fortschritt und die Globalisierung: Das zunächst ruhige und friedliche Dorf Macondo wird mittels einer Eisenbahnlinie an den Rest der Welt angeschlossen. Das Quartett ist sich weitestgehend einig: Eva Menasse hält das Werk für eines der besten Bücher der Literaturgeschichte. Matthias Brandt ist beim erneut lesen begeistert von der Vermittlung einer Geistes- und Gedankenwelt, die sich von unserer vollkommen unterscheidet. Das Buch öffne weite Türen. Thea Dorn fixiert ihren Blick auf die im Buch geschilderte Inzest-Angst und fragt vorsichtig, ob die Globalisierung nicht auch ein Mittel gegen diese sein kann, und bemerkt darüber hinaus, dass dem Buch das "Maximalwunder", welches die Literatur überhaupt hervorzaubern kann, gelingt.
Elizabeth Strout - Die langen Abende
Eva Menasse stellt den Roman "Die langen Abende" von Elizabeth Strout vor. Ein Buch, über die alltäglichen Lebenskatastrophen: Alter, Krankheit und Tot. Im Mittelpunkt dieser Geschichte stehen die pensionierte Mathelehrerin Olive, und der emeritierte Harvard-Professor Jack. Die Alleinstehenden finden zueinander, ziehen zusammen in ein Haus in Maine und genießen den Ruhestand. So scheint es. Doch Zorn, Hass und Intrigen der Vergangenheit flammen wieder auf. Thea Dorn verweist sofort auf ein Paradoxon während ihres Lese-Erlebnisses. Sie fragte sich: "Wieso ist dass jetzt eher ein versöhnliches, heiteres Buch, obwohl es eigentlich allen Grund gäbe sich danach gleich zu erschießen." Insgesamt erscheinen ihr die Kapitel und Szenen des Buches zu monothematisch. Matthias Brandt hingegen erlebte jede dieser Szene als vollkommen unterschiedlich. Eugen Ruge hält das Buch für große Literatur und unbedingt empfehlenswert. Ein amerikanisches Erzählen, in welchem man die Autorin kaum bemerkt.
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen - Der abenteuerliche Simplicissimus
Auch Thea Dorns greift mit ihrer Buch-Vorstellung einige Jahre zurück. Als "Der abenteuerliche Simplicissimus" ihr damals, noch unter dem Titel "Simplicius Simplicissimus", in der Schule begegnete, stieß sie das langweilige Buch von sich. 2009 wurde es dann von Reinhard Kaiser erneut übersetzt, und sie kam "aus dem Staunen nicht mehr raus". Ein simpler Bauernjunge erfährt die Schrecken des 30-Jährigen Krieges. Folterungen und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Dem Jungen gelingt die Flucht und er kommt in die Obhut christlicher Einsiedler, die ihn "Simplicius" taufen. Später macht dieser "Simplicius" dann Karriere als Hofnarr, Soldat, Opernsänger, Herzensbrecher, Quacksalber und vieles mehr. Gerade in Corona-Zeiten sei dieses Buch eine unbedingt Empfehlung, so Dorn. Matthias Brandt teilt indessen die schreckliche erste Begegnung, von der seine Vorrednerin sprach. Auch er sei rat- und verständnislos gewesen, nun aber umso dankbarer über die Wiederbegegnung, insbesondere im Bezug auf die Darstellung gesellschaftlicher Umstände, die uns heut so fern sind. Auch Eva Menasse dankt dem Übersetzer Reinhard Kaiser, für diese endlich verständliche Ausgabe eines an allen Ecken und Enden funkelnden Abenteuerromans. Eugen Ruge bemerkt, wie die Unbeständigkeit und Fragilität der Existenz im "Simplicissimus" wunderbar aufgezeigt werden. Jetzt öffent sich langsam die Runde, als Zuschauer*in kommt man langsam in Fahrt. Doch gerade als Rugens erneut ausholen möchte, werden seine letzten Worte von der Gastgeberin unterbrochen. Ein schneller Dank, und dieses erste Quartett unter Leitung von Thea Dorn endet.
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