Der Roman "Allegro Pastell" von Leif Randt steht an erster Stelle der SWR-Bestenliste für den Monat Mai. Die Kritik verneigt sich fast ausschließlich vor dem Buch. Was hat es auf sich, mit dieser hochgelobten Liebesgeschichte des 21. Jahrhunderts?
"Allegro Pastell": Die erschreckendste Liebesgeschichte des 21. Jahrhunderts
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Leif Randt hat mit "Allegro Pastell" einen vielbesprochenden und beinahe ausschließlich hoch gelobten Roman geschrieben. Ijoma Mangold etwa, bezeichnete das Werk in seiner Kritik (Die Zeit) als "eines der wichtigsten Bücher der Gegenwartsliteratur". Kein Millennial, so heißt es in der Rezension, würde künftig an "Allegro Pastell" vorbeikommen. Nun wurde die Liebesgeschichte des 21. Jahrhunderts auch an die Spitze der SRW-Bestenliste gewählt.
Worum geht es in "Allegro Pastell"?
Die Schriftstellerin Tanja und der Webdesigner Jerome führen eine auf den ersten Blick wunderbar funktionierende Fernbeziehung. Er lebt in Frankfurt, sie in Berlin. Jegliche Art der Kommunikation - ob social media oder real life - scheint perfekt getaktet, die Abstände zwischen den Treffen exakt geplant und kalkuliert. Die 30-Jährige Tanja hat gerade ihren ersten Roman (PanoptikumNeu) veröffentlicht, welcher ein großer Erfolg war. Und schon auf den ersten Seiten des Romans wird dieser zur Hebebühne für die Leser: In der U-Bahn bemerkt Jerome ein junges Mädchen, welches ununterbrochen auf Tanja starrt. "Ob die dir wohl auf Insta folgt?" fragt er, und Tanja antwortet als Kennerin der Blicke: "Die mag nur meine Schuhe".
Diese recht frühe Szene macht bereits klar, worum es in Leif Randts Buch vor allem gehen wird. Nämlich um die Darstellung einer Generation, die sich zum großen Teil über das Dechiffrieren von Codes und das Lesen von Gesten verständigt und definiert. Ziel ist es dabei häufig, sich von den Anderen ab- und sich selbst in Szene zu setzen.
In dieser heterogenen Welt der ständigen Verweise, verliert jedoch selbst der oder die Geschulteste früher oder später den Überblick. So auch Jerome. Irgendetwas muss er falsch gemacht, irgendeine Geste falsch konzipiert (kann man sagen programmiert?) haben, denn Tanja geht plötzlich auf Abstand.
Antihelden der Gegenwart
"Allegro Pastell" zeigt den mittlerweile alltäglichen, egozentrischen Wahnsinn tatsächlich besser auf, als irgendein anderes Buch. Es ist das Buch der Sekunde, welches, seinem Thema folgend, gleich schon wieder abgelöst werden könnte. Es zeigt eine Irr-Welt, in der die materiellen Bedürfnisse gedeckt sind, und zwischenmenschliche Beziehungen auf einer Ebene geführt werden, auf der Selbst- und Fremdwahrnehmung zu verschwimmen scheinen. Es ist dies eine Metaebene, auf der sich auch die Protagonisten des Romans bewegen, deren Logik sie jedoch nicht gewachsen sind. Denn jeder Versuch, ein hier herbeigeführtes Ergebnis auf seinen Ursprüngen zurückzuführen, endet in endlosen und wirren Reflexionsfäden.
Tanja und Jerome können gewissermaßen als die Antihelden des 21. Jahrhunderts Gegenwart gelesen werden, vorausgesetzt, man hat als Leser die gute alte Romantik noch nicht ganz aufgegeben (wofür es, keine Frage, gute Gründe gibt). Denn anhand der hier dargestellten Beziehung wird aufgezeigt, wie Partnerschaften eher inszeniert als geführt werden. Es ist beinahe so, als würden die beiden ein romantisches Bilderbuch aufschlagen, um die dortigen Szenen, wie auf einer Theater-Bühne (die wahlweise ein Balkon in Berlin-Neukölln sein kann), nachzustellen. Der oder die Nächste wird dabei nur unter der Voraussetzung geliebt, dass er oder sie zugleich auch als Spiegel fungiert, und der innigste Moment ist tatsächlich der, in dem man zusammen ausrufen kann: "Ach, wie nice wir doch sind!"
Die gesamte SWR-Bestenliste finden Sie hier.
Leif Randt - Allegro Pastell, Kiepenheuer&Witsch, 2020, 288 Seiten, 22 Euro
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