Anna Burns - "Milchmann" Spielarten der Brutalität

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Der mit dem Man Booker Prize 2018 ausgezeichnete Roman "Milchmann" von Anna Burns erzählt von einem mysteriösen Stalker, von Gewalt, Restriktion und Angst in konfliktbeladenen Zeiten.

In ihrem Roman "Milchmann" zeigt Anna Burns verschiedene Spielarten der Brutalität auf. Ein Buch, welches eine ungeheure Suggestiv-Kraft entfaltet. Foto: Klett Cotta Verlag

2018 gewann Anna Burns als erste Autorin aus Nordirland den renommierten Man Booker Prize. Burns wurde 1962 in Belfast geboren. Als sieben Jahre später der Nordirlandkonflikt aussprach, organisierten sich die irischen Nationalisten in ihrem Heimatbezirk Ardoyne. Der Kampf um die Loslösung vom protestantischen England, Bombenanschläge, paramilitärische Organisationen, Mord: Der Roman "Milchmann" transportiert von der ersten bis zur letzten Zeile eine stets von Angst und Brutalität durchtränkte Grundstimmung. Bereits der erste - viel zitierte - Satz wirkt in seiner lakonischen Lesart wie ein Anschlag: "Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb." Unter dem Eindruck dieser Eröffnung, kämpft sich der/die Leser/Leserin durch die rauchverhangene Ortschaft, die Burns im folgenen beschreibt.

Namenlose, Verschwundene

Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht eine 18-Jährige, namenlose Protagonistin - "Mittlere Schwester". Dass die Charaktere in Burns Roman keine Namen tragen, kann als Indiz dafür gelesen werden, dass sie ohnehin verschwinden werden, vielleicht bereits verschwunden sind, oder, aus historischer Perspektive, niemals da waren. Sie werden in eine Welt eingeführt, deren Umstände so brachial erscheinen, dass die Namenswahl das geringste Problem darstellt.

Gleich zu Beginn der Geschichte tritt "Milchmann" in das Leben der "Mittleren Schwester". Ein unheimliche Figur, die sie ständig verfolgt, beobachtet, von ihrem Arbeitsplatz und ihren Tagesabläufen weiß. Sie hingegen, hat keine Ahnung wer der Fremde ist oder woher er kommt: „Ich wusste nicht, wessen Milchmann er war. Unserer jedenfalls nicht. Ich glaube, er war niemandes Milchmann..." Schnell beginnt das Tuscheln in der Ortschaft. Die Leute hängen "Mittlere Schwester" einen Affäre mit dem Unbekannten an, der ganze 23 Älter ist. Ohnehin steht sie ständig unter Beobachtung, private Augenblicke gibt es keine, in den Büschen knipsen die Kameras, die Angst ist ständiger Begleiter.

Was kommt morgen?

Auf diesem Grundfundament der Angst, baut Burns nun erschreckende Bauwerke. Ihr Roman erzählt von sexueller Gewalt, Machtdemonstration und Missbrauch. Militärs des verfeindeten Landes streifen durch die Ortschaft, schneiden den Hunden die Kehle durch, und horten sie auf einen Haufen, um so zu verdeutlichen: Der treue, Schutz bietende Hund, kann euch nicht länger schützen! Es gibt eine Vielzahl solch parabolischer Momente, mittels denen Burns die Hilflosigkeit der erstarrten Bevölkerung zum Ausdruck bringt. Es ist eine Stärke des Buches, die Fassetten der Brutalität in Bilder zu verpacken, die vor allem auf der suggestiven Ebene nicht mehr loslassen. Die grauenvolle Tat, die morgen schon geschehen könnte, übertrifft den heutigen Schrecken. In diesem angespannten Szenario wächst "Mittlere Schwester" heran, und wirft ihre Fragen - die Fragen der Jugend - in eine zerstörte Welt hinein.


Anna Burns - Milchmann, a. d. Engl. von Anna-Nina Kroll, Klett-Cotta Verlag, 2020, 452 Seiten, 25 Euro

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