Ein verstorbener Schriftsteller, dessen ehemalige Schülerin und eine riesige Dogge. Mehr braucht Sigrid Nunez in ihrem nun auf deutsch erschienenen Roman "Der Freund" nicht, um über emotionale, tiefgreifende Themen zu schreiben. Auch ein Seitenhieb auf die gegenwärtige Literaturszene bleibt dabei nicht aus.
Der beste Freund des Menschen ist...
Apollo verliert sein Herrchen. Der Schriftsteller, der sich bisher um die Dogge kümmerte, hat Selbstmord begannen. Zurück bleibt jedoch nicht nur ein Hund, sondern auch eine Ehefrau sowie die beste Freundin, die nun Apollo in ihre Obhut nehmen soll. Obgleich ihr Appartment viel zu klein ist, und Tiere in der Wohnung nicht erlaubt sind, kann sie nicht nein sagen und nimmt den um sein Herrchen trauernden Apollo auf.
Ein Mann, ein Hund, und die verdammten Literaten
Sigrid Nunez lässt ihre Geschichte aus der Sicht jener Freundin erzählen, die ebenfalls Schriftstellerin ist und den Verstorbenen seit vielen Jahren kannte. Ihre Beziehung war innig, intim und vertrauensvoll; so dass nicht selten die Vermutung aufkam, die beiden hätten ein Verhältnis gehabt. Gemeinsam mit der Dogge verarbeitet die Ich-Erzählerin nun den Tod ihres Freundes, und auch wenn dieser natürlich nicht von seinem Hund ersetzt werden kann, ist es doch so, dass Apollo mit der Zeit zu einem Freundes-Ersatz wird.
Von der Beziehung zwischen Mensch und Hund, die hier auf parabolischer Weise dargestellt wird, ausgehend, beginnt die Ich-Erzählerin nun ihre Streifzüge durch sämtliche Gefühlswelten, und fragt dabei auch nach der Kraft des Erzählens. Was ist, was kann Literatur? Was sollte sie können? Fragen, von einer Frau gestellt, die in einem viel zu engen Raum mit einer viel zu großen Dogge wohnt.
Darunter auch die Frage danach, wer in der Literatur spricht, und welche Verantwortung er oder sie dadurch übernimmt. Überhaupt hält der Roman die Idee des verantwortungsvollen, des vehementen Schreibens hoch; ein Schreiben, welches tatsächlich als Berufung verstanden wird, und nicht als Zusatz- oder gar Nebenprodukt einer Selbstvermarktungsstrategie, wie es heutzutage immer häufiger zu beobachten ist und offensichtlich auch von der Autorin mit Missgunst beobachtet wird. Dieser meist allzu oberflächlich daherkommenden Vermarktungssucht stellt Sigrid Nunez mit ihrem Roman ein Buch entgegen, welches sich um in der Literaturgeschichte fest verankerte Themengebiete kreist. Das Antworten dabei ausbleiben, ist nicht überraschend.
Tiefe, böse Heiterkeit
"Der Freund" schafft es, Witz und Ernsthaftigkeit auf ungezwungene Weise miteinander zu verbinden. Sigrid Nunez oszilliert hier zwischen Themen wie Liebe, Freundschaft, Trauer, Erinnerung und Vergessen; und versteht es dabei sehr gut, die Tiefpunkte an den notwendigen Stellen zu entkräften. Ein schmales Buch, welches es vor allem schafft, die Magie des Schreibens auf wunderbare Weise heraufzubeschwören und augenscheinlich zu machen.
Sigrid Nunez - "Der Hund", Aufbau Verlag, 2019, 235 Seiten, 20 Euro
Topnews
Ein Geburtstagskind im März: Christa Wolf
Bertolt Brecht – Geburtstagskind im Februar: Ein literarisches Monument, das bleibt
Wie Banksy die Kunst rettete – Ein überraschender Blick auf die Kunstgeschichte
Ein Geburtstagskind im Januar: Franz Fühmann
Zauberberg 2 von Heinz Strunk
100 Jahre „Der Zauberberg“ - Was Leser heute daraus mitnehmen können
Oschmann: Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ – Umstrittene russische Übersetzung
Überraschung: Autorin Han Kang hat den Literaturnobelpreis 2024 gewonnen
PEN Berlin: Große Gesprächsreihe vor den Landtagswahlen im Osten
„Freiheitsschock“ von Ilko-Sascha Kowalczuk
Precht: Das Jahrhundert der Toleranz
Jenny Erpenbeck gewinnt Internationalen Booker-Preis 2024
Karl Ove Knausgård: Das dritte Königreich
Romanverfilmung "Sonne und Beton" knackt Besuchermillionen
Asterix - Im Reich der Mitte
Rassismus in Schullektüre: Ulmer Lehrerin schmeißt hin
14 Nominierungen für die Literaturverfilmung "Im Westen nichts Neues"
"Die Chemie des Todes" - Simon Becketts Bestsellerreihe startet bei Paramount+
Michel Houellebecq und die "Aufstachelung zum Hass"
Das zerbrochene Inselreich
Flammende Winterpilze und eine Nonne mit wallendem Bart
Gestatten: Mein Name ist Tomti, Baumgeist Tomti!
Vorsicht, Buchspringer unterwegs! Mit Schir Khan auf der Jagd nach dem Ideendieb
Treffpunkt: Nachts, in Deinen Träumen
Ein Rachefeldzug, quer durch die Medien
"Über Liebe und Magie" von John Burnside: Eine große Hoffnung
Fragmente der Liebe
Schriftsteller Günter Kunert im Alter von 90 Jahren gestorben
Fragmente des Lebens einer Schreibenden
Peinliche Eltern und Helikopter-Teenies
Die Wiederentdeckung der Langsamkeit
Am Lebensweg entlang geschrieben
Der Zauber von Schneefedern und Pinguinküken
Benedict Wells - "Hard Land": Zum Beispiel letztes Jahr im Sommer
Aktuelles
„Tschick“ von Wolfgang Herrndorf – Warum dieser Jugendroman längst ein moderner Klassiker ist
„Die Hüter der Sieben Artefakte“ von Christian Dölder – Wie ein Fantasyepos die klassischen Regeln neu schreibt
„Blood of Hercules“ von Jasmine Mas – Dark Romantasy trifft Mythos und Macht
„Nebel und Feuer“ von Katja Riemann – Wie vier Frauen inmitten der Krisen unserer Zeit Gemeinschaft, Mut und Sinn finden
Der Pinguin meines Lebens – von Tom Michell - Buch & Filmstart 2025: Rezension einer besonderen Freundschaft
„Mama, bitte lern Deutsch“ von Tahsim Durgun – TikTok trifft Literatur
"The Loop – Das Ende der Menschlichkeit“ von Ben Oliver: Was passiert, wenn Künstliche Intelligenz den Wert des Lebens bestimmt?
„Déjà-vu“ von Martin Walker – Brunos siebzehnter Fall und die Schatten der Geschichte
„Der Besuch der alten Dame“ – Wie Dürrenmatts Klassiker den Preis der Moral entlarvt
„Der Hundebeschützer“ von Bruno Jelovic – Wie aus einem Fitnessmodel ein Lebensretter für Straßenhunde wurde
Für Martin Suter Fans: „Wut und Liebe“ -Wenn Gefühle nicht reichen und Geld alles verändert
„Rico, Oskar und die Tieferschatten“ – Warum Andreas Steinhöfels Kinderbuchklassiker so klug, witzig und zeitlos ist
Abschied: Peter von Matt ist tot
„Hoffe: Die Autobiografie“ von Papst Franziskus – Was sein Leben über die Welt von heute erzählt
„Hunger und Zorn“ von Alice Renard – Was der stille Debütroman über Einsamkeit und Empathie erzählt
Rezensionen
„Der Gesang der Flusskrebse“ – Delia Owens’ poetisches Debüt über Einsamkeit, Natur und das Recht auf Zugehörigkeit
„Der Duft des Wals“ – Paul Rubans präziser Roman über den langsamen Zerfall einer Ehe inmitten von Tropenhitze und Verwesungsgeruch
„Die Richtige“ von Martin Mosebach: Kunst, Kontrolle und die Macht des Blicks
„Das Band, das uns hält“ – Kent Harufs stilles Meisterwerk über Pflicht, Verzicht und stille Größe
„Die Möglichkeit von Glück“ – Anne Rabes kraftvolles Debüt über Schweigen, Schuld und Aufbruch
Für Polina – Takis Würgers melancholische Rückkehr zu den Ursprüngen
„Nightfall“ von Penelope Douglas – Wenn Dunkelheit Verlangen weckt
„Bound by Flames“ von Liane Mars – Wenn Magie auf Leidenschaft trifft
„Letztes Kapitel: Mord“ von Maxime Girardeau – Ein raffinierter Thriller mit literarischer Note
Good Girl von Aria Aber – eine Geschichte aus dem Off der Gesellschaft
Guadalupe Nettel: Die Tochter
„Größtenteils heldenhaft“ von Anna Burns – Wenn Geschichte leise Helden findet
Ein grünes Licht im Rückspiegel – „Der große Gatsby“ 100 Jahre später
"Neanderthal" von Jens Lubbadeh – Zwischen Wissenschaft, Spannung und ethischen Abgründen
