Der Schriftsteller Peter Handke hatte sich letzte Woche in einem ZEIT-Interview erstmals zu den Auseinadersetzungen rund um die Literaturnobelpreis-Verleihung geäußert. Die Vergabe des Preises an Handke sorgte für Aufruhr, insbesondere in Bezug auf dessen umstrittenen Haltung im Jugoslawien-Konflikt. Im Gespräch hält Handke fest: Seine Aussagen seien nicht "denunzierbar".
Viel Befindlichkeit, viel schockierte Gesichter, und ein Literaturnobelpreisträger, der von seinem Standpunkt nicht abweicht. Die Debatte rund um die Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke hat noch einmal deutlich gemacht, dass Künstler*innen und Werk in Affektgesellschaften nicht auseinandergehalten werden können; dass Künstler*innen also aufgrund ihres Schaffens, und/oder ihr Schaffen aufgrund ihrer persönlichen Äußerungen oder Einstellungen angegriffen und Restriktionen unterworfen werden können. Ein Blick auf die Kunst- und Kulturwelt macht deutlich, dass wir uns längst in einer Verbotszone bewegen: Ausstellungen werden geschlossen, Kunstwerke werden abgehängt, Einstellungen schein-verboten. Wollte man Kunst als ein Spiel der Grenzüberschreitung betrachten, so müsste man eingestehen, dass dies gegenwärtig kein leichtes Spiel ist. Die Grenzen werden zu stark bewacht, und viele Künstler*innen denken nicht einmal daran, dem etwas entgegenzusetzen.
"Das ist Literatur"
Anders Peter Handke. In einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" machte der Schriftsteller, der seit der Literaturnobelpreisvergabe als Preisträger immer wieder in Frage gestellt wurde, keine Abstriche. Von seiner Position zum Jugoslawien-Krieg, die Auslöser der Debatte war, weicht er nicht ab: „Kein Wort von dem, was ich über Jugoslawien geschrieben habe, ist denunzierbar, kein einziges. Das ist Literatur.“ sagte der Autor.
In der darauf folgenden Debatte ging es dann ein weiteres Mal darum, ob Künstler*in und Kunstwerk getrennt betrachten werden können bzw. sollten. Doch immer wieder mischte sich in diesen Diskurs die Frage, ob Handkes Einstellung richtig oder falsch, verwerflich oder annehmbar ist; eine grundsätzlich politisch motivierte Frage also. Denn ebenso gut hätte man ja verscuchen können herauszustellen, inwiefern Handkes absolutistische, rigorose Haltung, die auch im besagten Zeit-Interview immer wieder deutlich wird, mit der Konsequenz innerhalb seines Werkes in Zusammenhang gebracht werden kann; um nur ein Beispiel einer künsterlisch motivierten Fragestellung zu nennen. Es handelte sich bei dieser Preisverleihung um einen Preis der Literatur. Als Literat weicht Handke nicht von seinen Überzeugungen ab, als Literat äußerte er sich, wenn auch politisch. Es ist eben nicht so, dass er als politisch engagierter Autor Bücher schreibt, von der Politik auf das Schrieben blickt, sondern gerade anders herum.
Journalistische Sprache und Literatur
So unterscheidet Handke auch strikt zwischen der Sprache der Literaten und der des Journalismus. „Journalistische Literatur ist ein Bastard der schlimmsten Art“, konstatiert der Literaturnobelpreisträger. Seine Segregation führt er noch weiter:
„Die literarische Sprache ist die natürliche, sie ist die Sprache des Menschen, des Gefühls, der Vernunft, sie ist die ursprünglichste, nachhaltigste Sprache. Die Sprache des Journalismus ist eine künstliche, beigebrachte, schulische. Literatur ist nichts Künstliches, sie ist die Mitte der Welt. Stattdessen tut man so, als wäre der Schriftsteller nicht ganz hell im Kopf, weil er Schriftsteller ist.“
Etwas "Natürliches" ist schwer denunzierbar. Auch in anderen, viel früheren Interviews, sprach Handke immer wieder von Sätzen, die ihn beispielsweise "anflogen", die er also nicht - seiner Literatur-Journalismus Unterscheidung folgend - nach langem Brüten schulmeisterlich zu Papier brachte. Die Angriffe gegen Peter Handke sind auch Angriffe gegenüber irrationalen Äußerungen, gegen das dionysische Prinzip, gegen die rauschhafte Kunstproduktion. Hinter dieser Debatte versteckt sich letzlich nichts anderes als ein Angriff auf die Kunstfreiheit und die Kunst. Als politisch denkender Mensch mag man Handke verurteilen müssen; als Künstler aber, verteidigt er die Grundvoraussetzung künstlerischen Schaffens. Zum Glück denken wir nicht mehr ganz so Schwarz-Weiß.
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