Der eine, Munch, fasste die Abgründe seines Lebens in einem sogenannten Lebensfries zusammen, der andere, Knausgard, verarbeitete seine persönlichsten Momente schonungslos in seinem autobiografischen Projekt Min kamp (Mein Kampf). Es scheint kein Zufall zu sein, dass Knausgard ein so enges Verhältnis zu den Werken Munchs pflegt. Kürzlich erst, kuratierte der Schriftsteller eine Munch-Ausstellung und schrieb darüber hinaus ein Buch über die Kraft der Werke des norwegischen Malers.
Wie leicht würde man es sich machen, schriebe man: Das Herkunftsland verbindet diese beiden tief in sich selbst hineinhörchenden Künstler, die prägende Landschaft, die norwegische Düsternis. Vielleicht wäre es im Falle Munch und Knausgard angebrachter, von einem Herkunftsort zu sprechen, von einem schwirrenden Platz im Selbst, von welchem aus diese ungemeine Kraft zu Schaffen losgelöst wird. Dieser Ort, wenn es ihn denn gäbe, dürfte wohl eine Wunde sein - so pathetisch das auch klingen mag - eine Wunde, die mittels künstlerischer Versuche geschlossen werden muss. Und wir, als Betrachter der Malereien Munchs, als Leser der Bücher Knausgards, werden dieser Verschließungs-Versuche teilhaftig, werden Zeugen der Wunden-Leckenden, werden zum Ziel der Wort- bzw. Bild-Suada.
Nichts was wir schon kannten
Karl Ove Knausgard hat eine im Osloer Munch-Museum gezeigte Ausstellung des Malers kuratiert, eine Ausstellung, die nun auch bis zum 1.03.2020 in Düsseldorf zu sehen sein wird. Das Auffällige an der Ausstellung ist vor allem, dass Knausgard gerade die berühmtesten Bilder Munch (jene aus dem sogenannten Lebensfries) außen vor gelassen hat. Dies allein aus dem Grund, wie der Schriftststeller erläutert, da die Bilder bereits kaputt gesehen wurden. Jeder Besucher kennt die berühmten Munch-Gemälde, hat sie mehrere Male gesehen, hat seine Geschichte zum Bild längst erzählt. Knausgard konzentriert sich auf eine andere Episode aus Munchs Leben, und zeigt Bilder, denen viele Besucher zum aller ersten Mal begegnen werden. Er zeigt einen nicht abgenutzten Munch.
Kraftvolle Naturlandschaften begegnen uns in dieser Ausstellung, gemalt in einer späten Phase Munchs. Der Maler hat sich zurückgezogen, wendet sich dem in seiner Innenwelt herrschenden Chaos ab und konzentriert sich nun auf die ihn umgebene Natur. Vor einem Gemälde, welches ein Kohlfeld zeigt, sagt Knausgard: "So stelle ich mir die Welt vor, wenn ich tot bin. So sieht die Welt ohne mich aus. Ich erinnere mich, wie ich über meinen Vater geschrieben habe." Der Autor fühlt sich in Betrachtung des Bildes an eine Schlüsselszene aus seinem Roman Kämpfen erinnert, der Teil der bisher sechs Romane umfassenden Autobiografie Knausgards ist.
Unsere Angst vor der Wunde
Und hier finden die beiden Künstler zusammen. Ihre Werke sind aus dem Leben gerissen, sie stülpen die Innenwelt nach außen, sind Produkte der Rauschhaftigkeit, kompromisslos und radikal. Um die Wunden des Lebens zu schließen, reißen sie sie mit aller Kraft auf, machen sich selbst also zur Wunde. Es ist jene Bewegung, die wir nur allzu schnell mit der Bezeichnung "Romantisch" abtun. Um uns vor der in diesen Auseinandersetzungen schlummernden Gewalt zu flüchten, kategorisieren wir sie; ja, wir ängstigen uns vor den offenbarten Wunden.
Jedoch geht es Knausgard in der Ausstellung nicht darum, den leidenden Maler Munch ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken (wie es nur allzu oft getan wurde). Er will die Betrachtenden viel eher auf suptile, fast literarische Weise langsam durch die Seelenwelten des Malers führen, und schafft dies, indem er die Wände der Ausstellungsräume in verschiedenen - den Gemütszustand der jeweiligen Lebensphase betonenden - Farben streichen lässt.
Die Enge Verbindung zwischen Maler und Autor kommt auch in Knausgards neustem Buch "So viel Sehnsucht auf so kleine Fläche" zutage. Darin beschäftigt sich der Schriftsteller dezidiert mit dem Werk Munchs und fragt, wie dieser zu einem der berühmtesten Malern der Welt, zum Mitbegründer der Moderne werden konnte. Im Zentrum des Buches steht dabei die Frage danach: Was Kunst ist und wozu wir sie brauchen.