Jonas Jonasson hatte mit "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" einen Millionenhit gelandet. Kann sein neues Buch mithalten?
Vor und hinter schwedischen Gardinen
Der Zufall würfelt eine ungläubige Pastorin, einen desillusionierten Rezeptionisten und einen verurteilten Mörder zusammen. Rezeptionist Per Persson hat ein Problem: Mörder Anders wählt nach mehreren Jahrzehnten hinter Gittern ausgerechnet dessen Pension als Bleibe. Dabei ist Mörder Anders bekanntermaßen gewalttätig, doch Persson wagt angesichts des Temperaments des ehemaligen Sträflings nicht zu widersprechen.
Eine Pastorin, die nicht an Gott glaubt
Die Pastorin Johanna Kjellander treiben währenddessen recht weltliche Sorgen um: Sie ist nicht nur von ihrer Gemeinde unehrenhaft entlassen worden, sondern es wurden sogar noch wutentbrannt zwei Gebetsbücher auf ihrem Weg nach draußen hinterher geschleudert. Sie braucht also dringend Geld und Obdach. Das verleitet Johanna Kjellander dazu, in einem Park den zufällig dort sitzenden Per Persson gegen Bezahlung eine Fürbitte zu verhökern.
Letztlich logiert auch die Pastorin in Per Perssons Pension, und dort treffen sie auf Mörder Anders. Johanna Kjellander hat die zündende Idee: Mit dem Rezeptionisten und ihr als Management-Ebene und Mörder Anders als Exekutive gründen sie eine Knochenbrecher AG: Auf Bestellung und gegen Bares, versteht sich, bricht Mörder Anders jeglichem Opfer eine beliebige Kombination an Gliedmaßen.
Als das Geschäft richtig brummt und Aufträge aus ganz Europa eintrudeln, geschieht das Unfassbare: Mörder Anders wendet sich Jesus zu und lehnt es ab, in Zukunft irgendwem Schmerzen zuzufügen. Schlimmer noch: Im Anfall von Barmherzigkeit beginnt Mörder Anders, das Ersparte freigiebig an verdutzte Heilsarmee-Soldatinnen und Rotkreuz-Schwestern zu verteilen.
Flucht im Wohnmobil
Da fällt kaum mehr ins Gewicht, dass das Trio von den schwersten aller Schwerverbrecher im ganzen Land gejagt wird: Die Bekehrung von Mörder Anders war nämlich so unvermittelt eingetreten, dass verschiedene hochdotierte, im Voraus bezahlte Aufträge nicht mehr ausgeführt werden konnten. Das Trio macht sich im Wohnmobil aus dem Staub, bis die abtrünnige Pastorin eine weitere zündende Idee hat: Wenn Mörder Anders schon gottesfürchtig geworden ist - warum nicht die Not zur Tugend machen, gleich eine neue Kirche gründen und den Ex-Mörder zum predigenden Guru ernennen?
Fazit: Mit "Mörder Anders und seine Freunde nebst dem einen oder anderen Feind" liefert Jonas Jonasson nicht nur den wahrscheinlich längsten Buchtitel der Saison, sondern wohl auch eine der vergnüglichsten Lektüren. Jonasson-Fans erwartet wieder einmal die Mischung aus skurrilen Figuren, jähen Wendungen in der Handlung und viel Wortwitz. Allerdings kommt das neue Buch des Schweden nicht an die Brillanz seines Debüts "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" heran. Nach furiosen ersten 70 Seiten lässt die Gag-Dichte merklich nach. Die traurige Kindheit der Pastorin wider Willen droht die Tonalität fast schon ins Schwermütige zu drehen, während die Hinwendung des Mörder Anders zu Gott nicht so recht glaubwürdig begründet wird. Da fehlte offensichtlich die Idee zu einem Schlüsselerlebnis. So plätschert die Handlung phasenweise vor sich hin, liefert dann aber doch noch genug Höhepunkte, um gut zu unterhalten. Ein guter Tipp für alle, die Spaß an trockener Situationskomik haben.
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