Der im Oktober geplante Thriller "Das Paket" war schon zu Jahresbeginn Nr. 1 der Amazon-Vorbestellungen. Im Interview mit Lesering enthüllt Sebastian Fitzek erste Einzelheiten über die Story und die Jubiläums-Tournee.
Lesering.de: Wird "Das Paket" schockierender und blutiger als alles, was Sie bisher geschrieben haben?
Sebastian Fitzek: Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe eines Schriftstellers sein sollte, immer höher, schneller und weiter zu wollen. Es gibt in meinen Büchern unterschiedliche Szenarien, die ein unterschiedliches Maß an Gewalt erfordern. Mein erstes Buch hatte noch nicht einmal eine Leiche, bei "Noah" gab es dagegen wahnsinnig viele Leichen, obwohl es trotzdem nicht so grausam war wie zum Beispiel bei "Abgeschnitten", das ich mit Michael Tsokos geschrieben habe.
Ich stelle mir immer nur eine einzige Frage: Ist es ein Buch, das ich selber gerne lesen würde? Das ist für mich sehr wichtig, weil man sich spätestens nach einem halben Jahr fragt, ob man nicht etwas Besseres machen könnte, als jeden Tag am Schreibtisch zu hocken. Ist es also etwas, was mich dann immer noch interessiert? Es kann eine Figur sein, die mich fesselt, oder ein Thema, wegen dem ich angefangen habe, oder eine Was-wäre-Wenn-Frage.
Bestimmt werden einige bei "Das Paket" sagen: Fitzek geht back to the roots. Es ist ein klaustrophobischer Psychothriller, der sich größtenteils in einem Haus abspielt und der eine Alltagssituation im Mittelpunkt hat, die jeder von uns kennt.
Klaustrophobie und Paranoia
Ich wohne in einem Reihenendhaus in einer kleinen Straße, in der jeder seinen Bürgersteig hat und ich meine eigentlich, dass ich alle Nachbarn kenne, weil ich mit ihnen groß geworden bin. Eines Tages kam der Postbote fragt, ob ich ein Paket für einen Nachbarn Koslowski annehmen kann. Ich nehme an, denke aber noch: Wer zum Geier ist Koslowski? Wenn das jetzt der Beginn eines meiner Romane wäre, dann wäre es ein besonderes Paket und Koslowski ein besonderer Typ. Da würde ich in den Nachrichten um 20:15 Uhr hören, dass Koslowksi gerade Opfer eines grausamen Ritualmordes wurde. So kann es beginnen, und das sind die schönen Momente für einen Autor, wenn man weiß, ja - da steckt etwas dahinter. Ich habe genau diese Was-wäre-wenn-Frage lange pausieren lassen und kam dann auf die Geschichte von Emma, die in einem Hotel unter mysteriösen Umständen vergewaltigt wurde. Ihr glaubt das allerdings niemand.
Sie ist Psychiaterin mit Spezialisierung auf Paranoia und entwickelt all diese Symptome, die sie ja nur allzu gut kennt, plötzlich selbst. Emma verlässt ihr Haus nicht mehr in einer Art Gegend, in der auch ich aufgewachsen bin. Das ist ihre einzige Burg. So macht sie den Fehler, ein Paket für einen Nachbarn anzunehmen, den sie nicht kennt, obwohl das eigentlich nicht sein kann. Sie weiß aber auch, dass sie an Paranoia leidet, und reflektiert darüber. Dennoch zieht mit diesem Paket das Grauen erst in ihren Verstand und dann hoffentlich auch beim Leser ein...
Lesering.de: Sie schreiben ja häufig mit verschiedenen Handlungssträngen. Das kann sich doch nicht nur aus einem einzigen Einfall entwickelt haben?
Sebastian Fitzek: Eine Anfangsidee kann nur erst einmal elektrisieren. Oft ist es auch so, dass dann die erste Idee gar nicht komplett umgesetzt wird. Das war bei "Passagier 23" so. Okay, es verschwindet jemand auf einem Kreuzfahrtschiff und der wird gesucht. Aber das war mir auf der einen Seite zu einfach, andererseits hatte ich über vermisste Personen schon häufig geschrieben. Und dann kam es mir, dass man genau diese Behauptung widerlegt, dass alle sich das Leben nehmen, die da verschwinden. Aber auch das reicht noch nicht aus. Und so ist es auch bei "Das Paket". Es kommen mehrere Dinge dazu, zum Beispiel ein zweites, wahres Erlebnis meiner Managerin in New York im Hotel: Nach dem Duschen beschlug die Scheibe der Kabine und dort stand ganz groß "Help me". Sie ruft mich an und sagt: "Sebastian, das ist jetzt aus deinem Roman, oder?" Wir wussten dann sehr schnell. dass sich jemand einen Scherz erlaubt hat. Er hatte mit Fettfingern kurz vor dem Auschecken auf die Scheibe geschrieben, um jemanden einen Schreck einzujagen.
Bei "Das Paket" kommt Emma im Hotel aus der Dusche und an der Scheibe steht "Hau ab, bevor es zu spät ist".
Das erinnert Emma wiederum an ein Kindheitstrauma: Sie hatte ihren Vater gebeten, vor dem Schlafengehen die Geister aus dem Schrank zu ziehen. Damals hatte er sie aber mit einem solchen Spruch wegen eines wichtigen Termins am nächsten Tag rüde abgekanzelt.
Einzelne Erlebnisse werden zur Story
Ich ziehe zum Beispiel immer vor dem Zubett-Gehen die Geister aus dem Schrank meiner Tochter - daher bin ich auf diese Idee gekommen . Und so ist Emma schon von Anfang an ein unsicherer Held, weil sie schon von ihrer Kindheit an mit Problemen behaftet ist.
Auf diese Weise kommt das allabendliche Erlebnis mit meiner Tochter mit dem meiner Managerin in New York und dem bei mir abgegebenen Paket zusammen und alle Elemente formieren sich zu einer Einheit.
Viel brauche ich dann auch gar nicht, um erst mal anzufangen, weil sich die Figuren selber entwickeln. Ich habe zwar ein grobes Exposé und meine auch, das Ende zu kennen. Aber ich gebe mir keinen hundertprozentigen, klaren Fahrplan. Ich lasse mich gerne von meinen eigenen Figuren überraschen.
Lesering.de: Das hört sich ja durchaus wieder handfest an...
Sebastian Fitzek: Es geht nicht um die Gewaltdarstellung an sich. Ich habe es nicht für notwendig gehalten, die Vergewaltigung an sich explizit zu beschreiben.
Das Grauen beginnt dadurch, dass die Frau im Hotelzimmer bleibt, dort alles kontrolliert, aber nichts Verdächtiges feststellen kann. Dann wird sie aber vom Empfang auf dem Handy angerufen, als sie schon im Bett liegt. Der Mann will wissen, ob sie noch einchecken wird - dabei ist sie längst auf Zimmer 1904. Der Empfang bedauert: Es gibt im Hotel kein Zimmer 1904.
In genau diesem Moment wird sie angegriffen. Die Szene blendet dann aber ins Dunkel.
Lesering.de: Was ist an diesen Serienmördern so faszinierend?
Sebastian Fitzek: Wir lesen jeden Tag in der Zeitung von Gewalt. Aber es gibt eben Arten von Gewalt, von denen wir nichts lesen wollen, etwa, wenn der IS befiehlt, dass Mütter ihre Töchter schon im Babyalter beschneiden, ein Drogensüchtiger ein Baby im Kinderwagen erschießt, weil die Mutter ihm kein Geld gibt oder auf Mallorca ein Kleinkind in einer Ansaugpumpe im Swimmingpool ums Leben kommt. Ich glaube, wir benutzen diese Bücher als Blitzableiter. Wir werden mit derartig schlimmen Dingen konfrontiert, dass man seine Ängste lieber an etwas Fiktivem ablädt.
Lesering.de: Ist Terrorismus für Sie ein literarisches Thema?
Sebastian Fitzek: Mich interessiert mehr die Auswirkungen auf die Opfer als die Gewalt, die zugefügt wird. Wie geht ein Mensch mit der Gewalt um? Das ist das, was in meinen Büchern bewegt. Deswegen habe ich auch ganz selten professionelle Ermittler in der Rolle eines Opfers, weil Profis in der Regel darauf ausgebildet sind, mit Gewalt umzugehen. Die Gewalt reißt uns die Maske vom Gesicht und zwingt uns, gegen unsere Urängste zu handeln.
Aber Terrorismus ist auch aus psychologischer und psychiatrischer Sicht ein extrem interessantes Thema. Das ist keinesfalls eine Rechtfertigung dieser Wahnsinnstaten, der wir gerade Zeuge werden. Aber es stellt sich natürlich die Frage, warum ein Deutscher, der hier sozialisiert ist, in den Heiligen Krieg zieht. Da muss eine massive psychologische Beeinträchtigung stattfinden. Das nachvollziehbar zu machen, wäre eine ganz große Aufgabe. Ob ich der gewachsen bin, weiß ich nicht, aber kann es früher oder später sein, dass mich das interessiert. Auch wir exportieren den Terror ja durch Heilige Krieger, die ja auch nicht alle Einwandererkinder sind.
Alles, nur keinen Roman vom Reißbrett
Lesering.de: Ihre Gesamtauflage liegt jetzt bei acht Millionen Exemplaren. Spüren Sie mittlerweile Erfolgsdruck?
Sebastian Fitzek: Nur streckenweise. Natürlich kann man sich nicht vollständig davon frei machen, dass man über die Reaktionen nachdenkt. Sobald Druck aufkommt und man versucht zu antizipieren, was der Leser denn erwarten könnte, ist das das Schlimmste für einen Autor. Ich erinnere mich daran, wie es bei meinem ersten Buch war. Man will es einfach mal probieren. Es ist ein Traum für mich gewesen, mein Buch an der Supermarktkasse zu sehen. Aber damals kannte ich ja noch keinen einzigen Leser - außer meiner Mutter. Ich habe damals ohne jeden Gedanken an irgendwelchen Zielgruppen geschrieben. Und das geht bei mir auch nicht: Meine Leser sind so unterschiedlich, dass es den typischen Fitzek-Leser nicht gibt. Man kann es ohnehin nicht jedem recht machen außer sich selbst und ich glaube, dass der Leser zum Beispiel bei "Noah" gespürt hat: Der Autor wollte es schreiben und er steht 100 Prozent dahinter. Normalerweise nimmt es einem der Leser eher übel, wenn man einen Reißbrettroman abliefert, als einen Roman, bei dem der Leser sagt: Er gefällt mir nicht so gut, aber ich verstehe, warum der Autor das geschrieben hat.
Lesering.de: Die Jubiläumsshow "10 Jahre Fitzek" im Oktober und November wird wieder mal mehr als nur eine Lesung - Sie sind mit Live-Band unterwegs. Was erwartet den Leser?
Sebastian Fitzek: Ein Film ohne Soundtrack ist ja undenkbar. Aber wenn beim Lesen das vielzitierte Kopfkino entsteht, warum gibt es dabei keinen Soundtrack? Mit befreundeten Musikern habe ich genau das schon bei "Noah" gemacht. Die Band spielt den Soundtrack während des Lesens live und verstärkt so die Bilder, die der Zuhörer im Kopf hat. Wir haben ein tolles Feedback bei "Noah" bekommen, und probieren das zu 10 Jahre Fitzek mit neuer Musik und natürlich einem neuen Buch.
Die Musik ist aber nicht nur atmosphärische Untermalung, sondern um einen eigenständigen Soundtrack, der auch am Ende in einen Song übergehen kann. Die Musiker haben das Exposé von "Das Paket" und sie haben die erste Fassung, die ich gerade überarbeite. Damit haben sie zumindest schon so viel, dass sie sich die einzelnen Szenen heraussuchen können, zu denen sie komponieren. Ich habe diese Musiker durch einen Zufall auf der Leipziger Buchmesse kennengelernt. Die arbeiten sonst für Cro und Xavier Naidoo und haben den Soundtrack zum Wickie-Film produziert.